Kapitel 2

Am nächsten Morgen wurde Jonson durch das Bellen eines Hundes geweckt. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel in sein Zimmer. Die Gewitterwolken der letzten Nacht hatten Platz gemacht für diesen wunderschönen blauen Himmel. Guter Laune ging Jonson in den Frühstücksraum, und überlegte sich, was er weiter schönes in den Bergen unternehmen wollte. Diese Gegend machte schon einen besonders guten Einduck. Er entschied sich, das Zimmer noch etwas zu halten, und mal etwas ohne Zelt und ganz schweres Gepäck zu machen. Vielleicht könnte er ja mal den Vorschlag von dem ersten Mann am Tisch aufgreifen, nochmal über die höher gelegenen Wiesen in Richtung des Steindorfes vom letzten Tag zu gehen. Sich langsam in diesen Gedanken einstimmend futterte Jonson sein Brötchen. Der durchnäßte Wanderer vom Vorabend kam in den Frühstücksraum, und wirkte irgendwie deplaziert auf Jonson. Er benahm sich nicht so, wie ein ganz normaler Tourist, der sich morgens selbstverständlich einen Kaffee und ein Brötchen am Buffet nimmt, sondern eher wie Jemand, der irgend etwas verbergen will. Jonson verstand nicht was mit dem Anderen los war. Er konnte sich keinen Reim draus machen. Als sozial positiv eingestellter Mensch, eben ein Bergwanderer, war Jonson durchaus hilfsbereit, und an den Problemen seiner Mitmenschen interessiert. Aber aus dem Verhalten dieses anderen Bergwanderers wurde Jonson nicht schlau. Naja, gehe ich mal nach oben, und packe mir ein paar Sachen für eine Tageswanderung in den Rucksack, dachte Jonson. Als er damit fertig war relaxte er noch ein paar Minuten bei einer Selbstgedrehten auf der Veranda, und betrachtete die Berge auf die er wollte. Die Wiesen, die der Mann am Abend vorher beschrieben hatte lagen etwa 700 Höhenmeter aufwärts. Dort, am Anfang der 2000er Höhenlinie sollte es also auch zu dem Steindorf gehen. Ok, also los. Jonson schnappte sich seinen, dieses Mal leichter gepackten Rucksack, und verließ den Gasthof. Die drumherum verstreut liegenden Häuser bildeten kein richtiges Dorfzentrum. Irgendwo gab es zwar eine kleine Kirche, Aber alles war sehr auseinander gezogen. Jonson ging eine kleine Straße, die zu seiner Bergseite führte entlang. Dann überquerte er die Hauptstraße, die durch das Tal lief, und kam bald auf den Wanderweg, hoch zu seinen Bergwiesen. Die 700 Höhenmeter zogen sich in die Länge. Viele Serpentinen lang, und zwischendurch tiefe Bergwälder querend erreichte Jonson irgendwann die 2000er Marke. Hier im etwas südlicheren Teil des ganzen Gebirges erreichte die Baumgrenze durchaus Höhen über 2000 Meter. Der Weg stieg noch etwas weiter an. Jonson mußte feststellen, daß seine Wiesen doch etwas höher lagen. Irgendwann machte der steil bergauf gehende Weg einen Knick, und eine weit ausladende Almwiesenlandschaft lag vor Jonson. Ja super, dachte er. Ohne klar erkennbaren Weg ging es weiter über die endlosen Wiesen. Hinein in das Tal, aus dem Jonson am Abend zuvor, auf der tiefer gelegenen Forststraße gekommen war. Die Gegend machte auf Jonson mächtig Eindruck. Also alles noch einmal zurück, nur eine Etage höher, dachte er. Irgendwann fragte sich Jonson, warum diese ganze Wiese eigentlich so frei von Steinen war. Müssten hier nicht, wie es so in den Bergen üblich ist, überall Steine herumliegen? Schon bei dem gestrigen Steindorf hatte er sich gefragt, ob die früheren Bewohner vielleicht die Steine von den Wiesen, am Ende des Tales nur genommen hätten, damit die Wiesen besser für die Viehzucht geeignet wären. Und sie natürlich ihre Häuser damit bauen könnten. Klein Tibet schoss es Jonson durch den Sinn. Er sah jetzt, warum der Mann das gestern gesagt hatte. Ein Stück weiter stand eine Art angefangener Turm aus Bruchsteinen. Vielleicht drei oder vier Meter hoch. Ringsherum ragten wie eine Wendeltreppe einzelne Steine heraus.

Hm, Treppe? Sehen so nicht auch tibetanische Gebehtsmühlen aus? Ok, alles klar, ich verstehe, dachte Jonson. Und wo Almwiesen waren, musste natürlich auch eine Alm sein. Wenig später sah Jonson ein Haus, natürlich auch aus Bruchsteinen. Sein Weg führte ihn praktisch darauf zu. Er rechnete nicht wirklich damit Menschen hier oben zu begegnen. Deswegen war er überrascht auf eine bewirtschaftete Alm zu treffen. Jonson war nunmal eher der Typ, der zu Zeiten durch die Berge lief, in denen Niemand dort oben war. Aber plötzlich stand eine Sennerin vor ihm. Ebenfalls scheinbar überrascht sagte sie: „Oh, schön, daß mal Jemand vorbeikommt,“ und führte Jonson in das Bruchsteinhaus. Sie erzählte Jonson, wie angetan sie wäre, daß sich mal ein Mann bei ihr, hier oben blicken ließe, und daß es richtig viel zu tun gäbe, wenn denn mal Jemand dableiben würde. Nach Almarbeit war Jonson nicht, wohl aber nach einem leckeren Kräutertee, den sie aus selbstgepflückten Bergkräutern zubereitet hatte. Als er sagte, daß er lieber ein bischen weiter wandern wollte, erzählte sie ihm von der Vergangenheit dieses Seitentales. „Hier gab es schon immer Menschen, die versucht haben, die Berge zu nutzen. Es gab ja auch sonst nichts“, sagte sie. „Und Manche von ihnen haben den Gefahren getrotzt, und etwas seltsames entdeckt.“ fuhr sie fort. „Hier oben ist etwas anders, als da unten im Tal. Du kannst hier den Zustand der Höhe erreichen,“ sagte sie geheimnisvoll, und „die Steine reichen bis in den Himmel.“ Jonson trank seinen Tee. Daß die Berggipfel bis in den Himmel ragten empfand er genau so, und pflichtete ihr bei. Sie erzählte noch etwas von den Strapazen, die die Menschen der früheren Jahrhunderte hier oben durchgemacht hätten, und daß es heute noch immer genau so wäre. Als Jonson seinen Tee ausgetrunken hatte, drängte es ihn unwiderstehlich nach draußen. Er verabschiedete sich von der Sennerin, und nahm seinen Rucksack. Draußen steuerte er weiterhin auf die Gipfel am Talende zu. Leicht ansteigend zog sich die Bergwiese in das Tal hinein. Plötzlich kam Jonson ein Mann entgegen. Er war auf einmal da, direkt vor ihm, ohne daß er ihn hätte kommen sehen. Der Mann beachtete Jonson nicht, und rannte ihn fast um. Dann sah Jonson, daß überall auf der Wiese Menschen waren, und irgendwelchen Tätigkeiten nachzugehen schienen. Es war jetzt gar nicht mehr so einsam hier oben. Etwas verdutzt ging Jonson weiter. Der Almwiesensattel machte einen leichten Knick nach rechts, und es war wieder einsam wie eh und je. Einige Zeit lief Jonson noch weiter, bis er plötzlich doch noch auf einen Wanderweg stieß. Sogar ausgeschildert. Es sollte auf einen Gipfel gehen, immerhin 2700 m hoch. Nicht schlecht, dachte Jonson, und entschied sich, den Gipfelweg auszuprobieren. Er folgte dem Weg fast 200 Höhenmeter weit. Als die, wie Stufen wirkenden Felsbrocken, über die es nach oben ging einen Meter hoch wurden, sagte Jonson sich, daß er ja auch noch wieder runter müßte, und es wohl zu strapaziös würde, und er jetzt auch mal wieder umdrehen könnte. Also machte Jonson sich wieder an den Abstieg. Als er die Felsstufen, die er insgeheim als Schikanen bezeichnete, hinter sich gelassen hatte, wurde der Weg angenehmer. Es war nicht mehr übertrieben steil. Einige größere und kleinere Felsbrocken lagen herum. Sie erregten Jonsons Aufmerksamkeit. Diese Punkte von den Mosen und Flechten auf den Steinen, sie schienen Jonson anzustarren. Nein nicht anzustarren, eher aufmunternd anzugucken, fand Jonson. Er sah einen dreieckigen Felsblock, dessen Moospunkte ihn wirklich anguckten. Daneben stand ein Stein, der aussah, wie ein Designerbarhocker mit einem Buch drauf. Jonson entschied sich, darauf Platz zu nehmen. Das Buch war ein flacher Stein, der auf dem Barhocker lag. Jonson nahm den Stein interessiert in die Hand.

Dann sah er ein paar hundert Meter tiefer liegend irgendetwas aufblitzen, und sein Interesse an dem Barhocker und dem Buch schwand dahin. Seltsam berührt von den einladenden Steinen nahm er dieses Sitzerlebnis in Gedanken mit. Aber das Aufblitzen weiter unterhalb hatte aus noch einem unerklärlicheren Grund seine Aufmerksamkeit erregt. Also machte er sich auf den Weg, herauszufinden was da so in der Sonne funkelte. Das Funkeln war weiter weg, als es zunächst den Anschein hatte. Jonson erreichte wieder die Terrassenstufe mit den Almwiesen, und dem Wegweiser auf den Berg. Der Wanderweg verschwand hier einfach in der Wiese. Es gab auch keine Spuren irgendeines Trampelpfades. Seltsam, dachte Jonson, daß ein Wanderweg einfach so im Nichts anfängt, kann eigentlich nicht sein. Vielleicht geht der Weg unterhalb der Bergwiesen weiter, überlegte er. Da Jonson sowieso dem Funkeln auf den Grund gehen wollte, steuerte er auf den Rand der Wiese zu. Dorthin, wo er auch den weiteren Verlauf des Wanderweges vermutete, und dieses Glitzern wahrgenommen hatte. Hinter der Terrasse mit den Almwiesen ging es wieder steil nach unten. Einen Weg konnte Jonson nicht erkennen. Er sah aber, nicht weit entfernt, einen mächtigen Felsen, von dem ein beachtlicher Teil zu fehlen schien. Der Felsen sah aus, als ob die Hälfte von ihm explodiert wäre. Ringsherum lagen kleinere silbrig glänzende Brocken herum. Sie funkelten in der Sonne. Jonson wollte unbedingt näher heran gehen. Das war aber nicht so einfach, denn das steile Gelände vor ihm bot überhaupt keine Möglichkeit auf zwei Beinen zu dem Felsen zu kommen. Entweder bildeten Latschenkiefern ein undurchdringbares Gebüsch, oder andere Felsen machten das Absteigen ohne Kletterausrüstung unmöglich. Trotzdem musste Jonson irgendwie zu dem Felsen kommen. Er blickte lange herunter, und überlegte, wie er das bewerkstelligen könnte. Plötzlich sah er, daß andere Menschen rings um den explodierten Felsen dabei waren, die silbrig glänzenden Brocken einzusammeln. Jonson hatte vorher Niemanden da unten gesehen. Dann vielen ihm die Worte der Sennerin wieder ein: „du kannst hier den Zustand der Höhe erreichen. Die Steine reichen bis in den Himmel.“ es schien Jonson, als würde die Sennerin vor ihm stehen, und ihre Worte wiederholen. Vielleicht meinte sie ja gar nicht die Gipfel, sondern diesen seltsamen Felsen. Irgendetwas muß es damit auf sich haben, wenn so viele Menschen die silbrigen Steine aufsammeln. So viele Menschen? Jonson war durch seine Gedanken über die Sennerin etwas abgelenkt, und sah jetzt wieder bewußt zu dem explodierten Felsen. Es war kein Mensch mehr zu sehen. Nur die silbrigen Brocken lagen noch immer herum. Es schienen auch nicht weniger geworden zu sein, obwohl doch diese ganzen Menschen so viele von den Brocken eingesammelt hatten. Wo sind denn alle hin, dachte Jonson, und fragte sich, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht. Er hatte wieder die Gestalt der Sennerin vor Augen. Sie sagte:“Manchmal mußt du zuerst absteigen, um dann in die wirkliche Höhe zu gelangen.“ Mit einem Mal war Jonson alles klar. Er sah eine mögliche Passage durch das steile Gelände. Zwar nicht einfach, aber doch machbar entschied er, und ging los. Zuerst ein Stück lehmiger Steilhang. Jonson schlug mit seinen Füßen so heftig in den Lehm, daß er Halt fand, und nach längerer Zeit diesen ersten Steilhang herunter geklettert war. Jetzt stand vor ihm dieses undurchdringbare Latschenkiefergebüsch. Es zu überwinden war noch schwieriger als den Steilhang herunter zu kommen. Immer wieder rutschten seine Füße von den relativ flach verlaufenden Ästen der Latschenkiefer ab, und Jonson saß hilflos mit seinem Allerwertesten auf irgenwelchen Zweigen fest. Ohne mit den Füßen Halt zu bekommen, war es unmöglich dieses Gebüsch zu passieren. Er versuchte mit den Füßen auf anderen Ästen Halt zu finden. Das gelang ihm aber erst, als er ein Stück über den sich nach unten biegenden Zweig, auf dem er saß, nach vorne gekrabbelt war. Eine Latschenkiefer ist zwar nicht hoch. Sie wächst ja in die Breite und nicht in die Höhe. Aber man kann nicht einfach darüber hinweg gehen, weil man unweigerlich in das Leere tritt, und dann überhaupt keinen Halt mehr findet. Und mehrere Latschenkiefern, die ein großes Gebüsch bilden, sind noch viel gemeiner. Voller Panik, wieder irgendwo hin zu treten, wo er festsaß, schaffte Jonson es nach geraumer Zeit dieses Gebüsch zu überwinden. Gut, Schikane Nummer Zwei geschafft, dachte Jonson, und betrachtete die Distanz bis zu dem Silberfelsen. Es gab eine Schotterrinne, die weiter runter führte, aber Jonson nicht sehr behagte. Sie sah noch rutschiger und instabiler aus, als die Rinne, die er vor zwei Tagen unfreiwillig heruntergerutscht war. Vielleicht kann ich am Rand der Rinne, die von steilen Felsen flankiert wurde, weiter herunter kommen, dachte er. Die Felsen selber eigneten sich nicht. Sie wären nur mit Kletterausrüstung passierbar gewesen. Also hielt Jonson sich am Rand der Rinne an den Felsen fest, während er, wie auf einer Leiter, versuchte rückwärts den Rand der Rinne herunter zu klettern. Dabei boten die Felsen seinen Händen einen guten Halt. Aber seine Füße rutschten immer wieder auf dem Geröll aus, und er landete mehrmals unsanft auf der Nase, rutschte aber nicht weiter runter. Nach einiger Zeit war er zwar ziemlich verschrammt, hatte aber das unter den Felsen mit der Schotterrinne liegende Steilgelände erreicht. Hier gab es wieder Grasbewuchs, und sein Weg zu dem Felsen war frei. Er lag vielleicht 30 Meter unterhalb. Jonson sah sich den Felsen jetzt genauer an, und versuchte seine Größe einzuschätzen. Er ragte bestimmt 15 Meter aus dem Hang hervor, und schien ursprünglich noch um einiges größer gewesen zu sein. Von außen sah er aus , wie ein gewöhnlicher Felsen. Die Bruchstelle hatte aber das silbrig glänzende Innere des Felsen freigelegt. Jonson versuchte näheres zu erkennen. Während er auf den Felsen guckte, verlor er das Gefühl für die Größe und die Entfernung. Der Felsen schien plötzlich direkt vor ihm zu sein, dann wieder ganz weit weg. Gleichzeitig konnte er seine eigene Körpergröße nicht mehr einschätzen. Er fühlte sich 12 Meter groß, dann wieder winzig klein. Alles um ihn herum schien ganz nah, unmittelbar vor ihm zu sein, um sich dann wieder in das Gegenteil zu verwandeln, und irgendwo weit weg lag. Dieses Gefühl nichts mehr richtig einschätzen zu können verunsicherte Jonson. Dann hatte er aber wieder die Realität vor Augen. Der Felsen lag immer noch 30 Meter unterhalb von ihm, und war noch immer so groß wie vorher. Die Bruchstücke glänzten immer noch silbrig, und lagen weit verteilt herum. Menschen waren nicht zu sehen. Er ging den Rest des Hanges, bis zu dem Felsen, jetzt vorsichtig herunter. Als er die ersten silbrigen Bruchstücke erreicht hatte, blieb er stehen. Ein etwa handgroßes Stück Silber lag vor seinen Füßen. Jonson bückte sich, um es aufzuheben. Es war leicht, aber sah aus wie Silber. Zumindest auf den ersten Blick. Jonson fragte sich, ob es wohl etwas wertvolles wäre. Prüfend schaute er es an. Ahhhhh, hörte Jonson einen langen, und dann plötzlich abbrechenden Schrei. Er schien von weiter unten zu kommen. Alarmiert, und damit rechnend, daß er Jemandem helfen müßte, ließ Jonson den Stein fallen, und versuchte den Ursprung des Schreies zu finden. Sehen konnte er nichts, aber es mußte von irgendwo da vorne gekommen sein. Jonson ging vorsichtig, darauf bedacht nicht zu stürzen, weiter runter. 50 Meter tiefer erreichte er eine Felskannte, unter der es etwas steiler bergab ging. Von hier aus hatte er einen guten Überblick über das weitere Gelände. Nicht weit entfernt befand sich ein kleinerer Felsen, hinter dem scheinbar Irgendjemand lag. Jonson sah eine Regenjacke und Handschuhe seitlich hinter dem kleinen Felsen. Oh, da braucht Jemand Hilfe, dachte Jonson, und bewegte sich auf die Stelle zu. Alles andere um ihn herum vergessend, machte Jonson sich um diese andere Person Sorgen. Hoffentlich lebt er noch. Und hoffentlich kann ich helfen, dachte er, und erreichte den Felsen. Als er sich gerade bücken wollte, um die verunfallte Person zu untersuchen, fiel ihm auf, daß es sich nur um eine Regenjacke und Handschuhe handelte, aber Niemand drinsteckte. Nanü, wo kam denn dann der Schrei her, fragte Jonson sich, als er einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf bekam, und das Bewustsein verlor.

Die Straße verdient den Namen gar nicht. Es ist eher eine Art Piste. Es gibt keinen Asphalt, sondern nur, mehr oder weniger festgefahrenen Sand. Ringsherum sehe ich auch nur Sand. Alles ist bis zum Horizont ziemlich flach, trist und öde. Ich komme an einem Haus vorbei. Es sieht sehr heruntergekommen aus. Kein Lehmbau, wie man ihn in einer solchen Gegend vermuten würde sondern ein, wohl ehemals stolzes Gebäude aus Betonfertigelementen, mehrere Stockwerke hoch. Aber die guten Zeiten scheinen für dieses Gebäude zweifellos vorbei zu sein. Eines der wandgroßen Betonelemente hängt, nur noch an ein paar Armierungseisen gehalten, herunter. Einen Anstrich hat das Gebäude auch nicht. Man sieht überall den nackten Beton, der aber von der Sonne, dem Wind, und dem Sand ziemlich ramponiert wirkt. Um das Haus herum gibt es natürlich keine Pflanzen. Wie sollten die auch in dieser Gegend wachsen? Überall ist ja nur Sand. Und so paßt sich die mittlerweile in hellbraun übergegangene Farbe der Betonfassade fast perfekt der umliegenden Landschaft an. Wenn man denn dieses absolut nichts sagende Drumherum überhaupt als Landschaft bezeichnen kann. Selbst für eine Wüste ist es hier ausgesprochen öde und langweilig. Es gibt ja nicht mal eine Düne, oder sonstige Veränderung in der Landschaft. Nur diese endlose weite Ebene. Es scheint auch nirgendwo nur einen Grashalm, oder anderen Bewuchs zu geben. Und trotzdem scheinen Menschen hier in diesem ehemals modernen Haus gelebt zu haben. Oder womöglich immer noch zu leben? Frage ich mich. Also das möchte ich auf keinen Fall, hier in diesem maroden Haus wohnen zu müssen. Das stelle ich mir wirklich schrecklich vor. Ich versuche dieses trostlose Gebäude schnell hinter mir zu lassen. In einer ziemlichen Entfernung kann ich ein sehr hohes anderes Gebäude entdecken. Es glitzert in der Sonne, und scheint, selbst von hier aus zu erkennen, Fenster, oder vielleicht eine Fassadenverkleidung zu haben, die in der Sonne glänzt. Wahrscheinlich ein aktuelleres Gebäude. Ich bewege mich darauf zu. Es gibt hier in der Wüste ein paar geheimnisumwobene Firmengebäude. Extra weit draußen, am entlegensten und menschenleerendsten Ort. Aber wie gesagt, wirklich menschenleer ist es selbst hier nicht. Mich interessiert auch gar nicht, was diese Firmen hier in der Wüste verstecken wollen. Aber die Gebäude interessieren mich. Seltene Industriearchitektur der modernen Art mit baulichen Begebenheiten, die nicht überall zu finden sind. Keine abgeranzten Lost Plazes aus vergangenen Tagen, sondern die Lost Plazes von morgen, die aber heute noch in Betrieb sind, und viele Geheimnisse bergen. Nach einiger Zeit habe ich mich dem glänzenden Gebäude genähert. Es ist ein metallisch glänzender Klotz, der mächtig hoch zu sein scheint. Die wahre Höhe läßt sich schwer abschätzen, da überhaupt keine Details, wie Fenster oder Stockwerke zu erkennen sind. Nur an den vier Ecken sind, ähnlich einer Burg mit ihren Türmen, vier runde Wölbungen zu sehen, die das Dach des Klotz etwas überragen. Als ich mich weiter nähere, sehe ich den Eingang. Menschen in weißen Kitteln und andere in blauen Overals gehen herein, und kommen heraus. Hinter der gläsernen Eingangsfront erkenne ich einen Pförtner, und mehrere uniformierte Personen. Hm, wie soll ich da bloß hereinkommen? Ich beschließe, es mit Ehrlichkeit zu versuchen, und den Pförtner einfach zu fragen, ob ich das Gebäude vielleicht betreten dürfte, da ich es so toll finde. Manchmal erlebt man ja auch etwas Positives, denke ich. Die Uniformierten beäugeln mich mißtrauisch, als ich mit dem Pförtner rede. Er sagt mir, daß Privatpersonen hier keinen Zutritt haben, und es gänzlich untersagt ist hier irgendwelche Fotos zu machen. Weder von Außen, noch von Innen. Und wer mich denn geschickt hätte, eine Zeitung vielleicht? Als ich ihm von meinem Interesse an moderner Industriearchitektur erzähle, und von diesem Gebäude schwärme, sieht er mich verständnisvoll an, und fragt mich, ob ich denn vielleicht ein Blogger wäre. „Nein, ich mache das nur für mich selbst, und zeige es höchstens mal ein paar Freunden, wenn ich etwas fotografiert habe,“ antworte ich. Der Pförtner fragt mich noch, ob ich das Gebäude von außen fotografiert habe, und will mein Handy kontrollieren. Ich gebe es ihm, und frage ob ich denn nicht wenigstens hier unten von dem großartigen Atrium ein Foto machen dürfe. Da würden doch bestimmt keine Geheimnisse drauf sein, und es könnte ja auch Niemand wirklich etwas zuordnen. Die Uniformierten kommen grinsend näher, und sagen:“Nein, Geheimnisse gibt es hier ja auch nicht. Was soll es denn hier schon geben? Hier gibt es überhaupt nichts. Noch nicht mal ein kaltes Bier gibt es hier.“ „Oh, ich bin vorhin an einer Tankstelle vorbei gekommen, und habe zufälligerweise ein paar kalte Biere gekauft. Möchte Jemand eins?“ frage ich. Die Uniformierten lachen. „Ja klar, für ein kaltes Bier darfst du uns sogar fotografieren,“sagt einer von den Beiden. „Komm mit, wir haben jetzt sowieso Pause,“sagt der andere Uniformierte. Wir gehen in das Eingangsfoye, und setzen uns auf ein paar gemütliche lederne Sitzgelegenheiten. Ich packe das immer noch kalte Bier aus meinem Rucksack aus, und wir stoßen an. Ich darf die Beiden auch, wie versprochen fotografieren. Weiter rein in das Gebäude darf ich natürlich nicht, möchte ich aber gerne. Wir reden eine Weile über diese endlos langweilige Gegend, und darüber, was man alles tut, um dieser Tristesse zu entfliehen. Einer von den Beiden kennt sogar Jemanden in dem kaputten Haus, an dem ich vorbei gekommen bin. Er sagt, daß es drinnen durchaus gemütlich wäre, und dort nette Menschen wohnen würden. Als sie das Bier ausgetrunken haben, stehen Beide auf, und verabschieden sich. Sie wollen in ihren Pausenraum. Ich darf noch ein bisschen hier im Inneren sitzen bleiben, muss ihnen aber versprechen nicht in die Aufzüge zu steigen, oder sonst wie zu versuchen weiter in das Gebäude vorzudringen. Ich verspreche es. Die Beiden verschwinden, und ich bleibe noch eine Weile sitzen, bis ich es nicht mehr aushalte. Verstohlen geht mein Blick zu den Aufzügen. Vor den Türen stehen andere Uniformierte, und achten auf die Leute, die in die Aufzüge steigen wollen. Auch das Treppenhaus wird von zwei Uniformierten bewacht. Ich stehe von den Ledersitzen auf, und gehe um die Sitzecke herum. Im Eingangsbereich sehe ich zwei andere Uniformierte, die wohl ihre beiden Kollegen abgelöst haben. Sie beachten mich nicht. Die Aufzüge befinden sich etwa in der Mitte des Atriums. Das Treppenhaus direkt anschließend. Nach oben ist der Blick offen bis zum Dach des Gebäudes. Von innen sieht man jetzt doch so etwas wie Stockwerke, aber die Größenverhältnisse lassen sich immer noch nicht genau einschätzen. Im Artrium verstreut befinden sich noch weitere Sitzgruppen Irgendeine Gelegenheit, daß Gebäude nicht über die Aufzüge oder das Treppenhaus zu betreten, scheint es nicht zu geben. Die Außenwände des Artriums haben keine einzige Tür, abgesehen vom Eingang. Über den Außenwänden wächst der Klotz mit seinen undefinierbaren Stockwerken empor. Weil diese Türlose Wand des Artriums wohl ein bischen karg, und schmucklos ist, so scheint es mir, gibt es wohl auch einen Vorhang davor. Als ich merke, daß ich mich doch relativ frei im Atrium bewegen kann, ohne beachtet zu werden, wage ich es hinter den Vorhang zu schauen. Es ist aber nur die Wand dahinter zu sehen. Plötzlich tippt mir ein anderer Pförtner auf die Schulter, und sagt, daß ich rüber zu den Aufzügen müsse. Ich nicke, und drehe mich zu den Aufzügen, wohlwissend, daß ich nicht durchgelassen werde. Der Pförtner geht weiter. Ich taste mit meinen Händen nach dem Vorhang, und fühle, daß eine Nische in der Wand dahinter ist. Ich drehe mich noch einmal um. Die Luft ist rein. Schwupps, unter dem Vorhang durch in die Wandnische hinein, verschwinde ich vor allen Blicken. Die Nische hat eine Öffnung nach links, durch die ich hindurch schlüpfen kann. Ich befinde mich jetzt in einem Hohlraum zwischen der Atriumswand, und einer anderen Wand. Seltsam, zwei Wände. Sie verlaufen in einem Bogen, der wieder zum Eingang führt. Etwas enttäuscht gehe ich in die Richtung. Naja, Pech gehabt, denke ich. Einen Versuch war es wert. Kurz vor dem Eingangsbereich, als ich schon entschlossen bin, einfach wieder heraus zu gehen, sehe ich daß es rechts einen Hohlraum zwischen zwei Wänden gibt, anscheinend parallel zur Außenwand verlaufend, in den ich schnell herein schlüpfe. Zum Glück hat das Niemand vom Eingang gesehen. Immer wieder scheint es hier doppelte Wände zu geben. Ich gehe weiter durch den Hohlraum. Irgendwann öffnet sich die rechte Wand. Ich sehe einen Gang mit Menschen in weißen Kitteln, und Menschen in blauen Overalls geschäftig hin und herlaufen. Schnell weiche ich zurück, und verstecke mich hinter der rechten Wand. Die geht nach etwa drei Metern auch weiter, aber dazwischen liegt der offene Gang. Ich beobachte eine Zeit lang, bis ich den richtigen Augenblick zum Vorwärtshuschen erwische. Der Hohlraum zwischen den beiden Wänden führt zu einem der äußeren vier Türme. Bis dorthin gelange ich problemlos. In dem Turm endet aber wieder ein Gang aus dem Inneren des Gebäudes. Wieder sehe ich dort viele Menschen hin und her laufen. Also verstecke ich mich schnell wieder in dem Hohlraum. In dem Turm entdecke ich einen Materialaufzug. Der Schacht geht senkrecht in die Höhe. Hm, die Leute hätten mich doch eigentlich sehen müssen, ich war doch gerade schon vor ihren Augen, denke ich, und überlege, ob ich es wagen kann zu dem Materialaufzug zu gehen. Wie selbstverständlich mache ich das, und stelle erstaunt fest, daß mich Niemand zu beachten scheint. Der Materialaufzug ist zwar eng, aber er bietet mir genügend Platz. Ich drücke außen auf das oberste Stockwerk und schließe die Tür. Der Aufzug setzt sich in Bewegung. Es scheint mächtig weit nach oben zu gehen. Nach endloser Zeit hält er an, es macht Klack, und ich kann die Aufzugtür öffnen. Ich krabbele aus dem Materialaufzug, und befinde mich ganz oben auf dem Dach des Klotzes. Es scheint sehr hoch zu sein. Von dem Dach gehen zwei Stege ab, die man von unten gar nicht gesehen hatte. Ich gehe auf einen dieser Stege zu. Sie scheinen auf irgend Etwas nicht genau Erkennbares zu zulaufen. Es ist dünn, und scheint auch bis unten zu reichen, war aber vorher nicht zu sehen, und scheint ja auch von unten nicht zu betreten zu sein. Aber diese beiden Stege führen dort herüber. Ich nehme den linken der Beiden. Als ich ihn betrete, sehe ich das erste Mal, wie hoch ich wirklich bin. Unter mir geht es sehr weit herunter. Ich schaue geradeaus, und gehe auf das Ende des Steges zu.

Jonson brummte der Schädel. Er lag bergab auf dem Hang, mit der Nase im Dreck. Er versuchte den Kopf zu heben, und sah vor sich ein Paar Füße. Stöhnend versuchte er sich aufzustützen. Vor ihm stand Jemand. Als er es auf seine Knie geschafft hatte, drückte ihm dieser Jemand einen Stock vor die Brust, und hielt ihn damit unten. „Ey,“hörte Jonson,“was willst du hier?“ „Ich dachte, es wäre jemand verletzt,“antwortete Jonson erschrocken. „Ich meine, was wolltest du an dem Silberfelsen?“fragte der Fremde. „Ich wollte nur mal gucken, nichts Besonderes,“ sagte Jonson, immer noch sichtlich eingeschüchtert. Das war auch berechtigt, denn der Fremde packte ihn sofort brutal an der Gurgel, und sagte:“Soso, nur mal gucken wolltest du also. Du wolltest bestimmt ein paar von den Steinen mitnehmen, oder etwa nicht?“Wütend schaute der Fremde Jonson an. Jonson bekam ein schlechtes Gewissen, und sah beschämt zu Boden, weil er tatsächlich nachgedacht hatte, ob die Steine etwas Wert wären. Aber er sagte:“Nein, die Steine müssen doch hier bleiben, denn sie wachsen in den Himmel.“Er wußte, daß er damit die tiefe Wahrheit der Berge vertrat, und einfach richtig liegen mußte, aber der Fremde drückte ihm den Stock viel tiefer in die Brust, und sagte:“Hier oben werden sie nur geklaut. Wir werden sie in Sicherheit bringen!“

Was der Fremde mit „Wir“ meinte war, daß Jonson die herumliegenden Steine aufsammeln sollte, und in einem überdimensionierten Korb nach unten tragen sollte. Seiner Forderung verschaffte er mit Hilfe des Stockes Nachhilfe. Also tat Jonson was der Fremde wollte. Er sammelte die Steine auf, füllte sie in den Korb, und versuchte sich diesen auf den Rücken zu setzen. Das ging auch, weil die Steine nicht so schwer waren, wie Steine normalerweise sind. Trotzdem wog der Korb mehr als sein eigener riesiger Rucksack sonst wog. Den mußte er leider zurücklassen. Jonson sah den Fremden fragend an. Der deutete mit dem Stock die Richtung an, in die Jonson gehen sollte. Gerade den steilen Berghang hinunter. Jonson stapfte vorsichtig los. Er fragte, ob es denn hier auch wirklich nach unten geht. Der Fremde sagte nur:“Weiter!“Anfangs noch eingeschüchtert, und daran glaubend, daß der Fremde ehrenwerte Motive, sogar eine Art staatliche Autorität besaß, tat Jonson, wie ihm befohlen wurde. Langsam kamen ihm aber Zweifel. Ob der Andere wirklich die Obrigkeit vertrat, und die Naturschätze bewahren wollte? Vielleicht gab es ja doch egoistische Motive. Die Steine schienen einen gewissen Wert zu haben, und sie sollten doch hier oben bleiben, um weiter in den Himmel wachsen zu können. So jedenfalls hatte er die Sennerin interpretiert. Es wurde ihm immer unangenehmer, die Steine in das Tal bringen zu müssen. Er fühlte sich schlecht dabei. Der Fremde drängte ihn aber immer wieder unsanft mit dem Stock, wenn Jonson wohl zu langsam wurde. Weiteres verriet der Fremde nicht. Wenn er überhaupt etwas sagte, dann waren es Drohungen gegenüber Jonson. Der Berghang ging zwar weiter steil nach unten, aber vorsichtig, und mit einiger Mühe konnte man herunter gehen. Es gab keine unüberwindbaren Passagen. Nur das Gefälle, in Verbindung mit dem hohen Gewicht auf Jonsons Schultern, sorgte für eine enorme Belastung der Beinmuskulatur. Jonson merkte, daß seine, für das Abwärtsgehen zuständigen Muskeln zu schmerzen begannen. Bergauf ist zwar eigentlich anstrengender, aber für die Muskeln angenehmer. Die Kräfte wirken sich einfach anders aus. Leider wurde der Hang bei dem weiteren Bergab gehen immer steiler. Irgendwann sah Jonson eine Forststraße, etwas weiter unter sich. Er war überrascht, hatte er doch hier nicht mit einem Weg gerechnet. Er drehte sich zu dem Fremden um, der die ganze Zeit dicht hinter ihm geblieben war. Der drückte ihn aber nur mit dem Stock weiter den Berg herunter. Fünf Meter über der Forststraße blieb Jonson wieder stehen. Die Straße war in den Berg hinein gebaut, und das letzte Stück Hang ging fast senkrecht zur Straße herunter. „Los weiter!“sagte der Fremde nur. Jonson drehte sich um, und versuchte es wieder rückwärts, auf allen Vieren die steilen Fünf Meter herunter zu kommen. Mit dem riesigen Korb auf dem Rücken kein leichtes Unterfangen. Der Fremde sah ihm dabei spöttisch zu. Auf der Forststraße wollte Jonson sich nach links wenden, wo es doch seiner Meinung nach in das Tal gehen müßte. Doch der Fremde stieß wieder mit seinem Stock gegen Jonsons Brust, und bedeutete ihm, in die andere Richtung zu gehen. Also gingen sie die Forststraße nach rechts, weiter in das Seitental hinein. Immer noch weit oberhalb, der Straße, die Jonson ursprünglich herunter gewandert war. Also gibt es doch noch einen anderen Weg, dachte Jonson. Aber was hatte der Fremde mit Jonson vor? Ihm wurde immer unbehaglicher. Wenn der Fremde ja nicht so ungeheuerlich groß und stark gewesen wäre, hätte Jonson ja aufbegehrt. Aber Jonson traute sich nicht, irgendetwas gegen den Anderen zu unternehmen. Die Forststraße war eine Sackgasse, die nur zu einer einzelnen Hütte an dem Berg führte. Jonson sah ein metallenes Ofenrohr aus dem Hüttendach ragen. Hinter den kleinen Fenstern der Hütte erkannte er rot weiß karierte Gardinen. Der Fremde deutete auf die Eingangstür, und Jonson drückte die Klinke herunter, um hinein zu gehen. Im Inneren gab es mehrere Doppelstockbetten, einen Tisch mit Stühlen, und einen großen Holzofen, aus dem das Ofenrohr durch das Dach nach draußen führte. Der Fremde bedeutete Jonson den Korb in einer Ecke des Raumes abzustellen. Dann sollte sich Jonson an den Tisch setzen, und sich nicht von dort weg bewegen, während der Fremde den Ofen anzündete, und mehrere Töpfe darauf stellte. Er kochte schweigend etwas zu Essen, und stellte nach einiger Zeit zwei gefüllte Teller auf den Tisch. Der Fremde reichte Jonson wortlos eine Gabel, und schob ihm noch einen Becher Tee herüber. Dann aßen sie schweigend. Mittlerweile war es draußen dunkel geworden, und damit auch wieder kalt. Obwohl der Holzofen eine gewisse Wärme abgab, spürten sie die Kälte auch in der Hütte. Nachdem Jonson gegessen hatte, und der Becher Tee gelehrt war, sagte der Fremde:“Du legst dich jetzt in eines der Betten, und schläfst. Wage es nicht die Hütte zu verlassen. Ich finde dich, wo immer du dich auch versteckst,“schüchterte er Jonson weiter ein. Jonson glaubte, daß der Fremde das wirklich konnte. Er hatte mächtige Angst, und legte sich deshalb wirklich brav, und ohne noch irgend etwas zu fragen in eines der Betten. Er hoffte, wenn er nur alles täte, was der Fremde von ihm wollte, schon alles gut gehen würde. Schlafen konnte Jonson in seiner Lage natürlich nicht. Aber es tat gut den geschundenen Rücken und die Beinmuskulatur zu entspannen. Der Fremde kroste noch etwas in der Hütte herum. Jonson traute sich nicht genau hinzusehen, was der Andere tat. Erst sehr spät, als auch der mysteriöse Fremde sich schon lange hingelegt hatte, und durch die kleinen Fenster der Mond schien, dämmerte Jonson in einen leichten Halbschlaf. Das schlechte Gefühl konnte er aber nicht abschütteln, und somit auch nicht wirklich einschlafen. Er konnte die Gedanken nicht abstellen. Sollte er nicht doch herauslaufen, und versuchen in das Tal zu seinem Gasthof zu kommen? Aber der Fremde schien wirklich im Stande ihm zu folgen, und auch etwas anzutun. Jonson traute sich nicht. Er konnte sich aber auch nicht einfach mit der Situation abfinden. Er richtete sich im Bett auf, und versuchte im spärlichen Licht des Mondes, daß durch die Fenster in die Hütte fiel, seine Bergstiefel zu sehen. Er konnte sie aber nirgendwo entdecken. Leise stand er von dem Bett auf, und sah sich in dem Raum weiter um. Seine Bergstiefel standen vor dem Bett des Fremden. Als Jonson einen Schritt darauf zu machte, schreckte der Fremde sofort hoch. Jonson griff schnell nach seinem Teebecher auf dem Tisch, und tat so, als würde er nach Wasser suchen. Dann legte er sich wieder in sein Bett. Ein Gefühl der Ohnmacht machte sich in ihm breit. Was sollte er bloß tun? Die Ohnmacht in seinem Gemüt wich einem Gefühl totaler Verzweifelung und Mutlosigkeit. So weit unten hatte Jonson sich noch nie gefühlt. Aber er fügte sich jetzt in sein Schicksal, und harrte der Dinge die da kommen sollten. Der Mond war längst untergegangen, und hinter den Gipfeln tauchte schon das erste Blau des Tages auf, als sein grübelnder frustrierter Dämmerzustand von einem ohnmachtähnlichen Erschöpfungsschlaf abgelöst wurde.

Ich bin wohnungslos. Auf einmal. Die Hotelreservierung ist hinfällig. Ich komme nirgendwo unter. All mein Gepäck, wohin damit. Den Wagen kann ich auch nicht mehr halten. Die Mietwagenfirma hat eine horrende Rechnung für mich, und will die Polizei rufen, wenn ich nicht bezahle. Warum ich denn nicht zum vereinbarten Zeitpunkt den Wagen zurück gebracht hätte, werde ich gefragt. Und wo ich denn gewesen wäre, sie hätten auch im Hotel angerufen. Aber auch dort hätten sie nichts von meinem Verbleib gehört. Ich erkläre, daß ich das selbst nicht genau weiß, und keine böse Absicht dahinter steckt. Ich war doch nur, mir dieses Gebäude ansehen. Draußen in der Wüste. Danach bin ich doch sofort wieder zurück gekommen. Mir wird gesagt, daß ich den Mietwagen für eine Woche gebucht hatte, und das ist jetzt drei Wochen her. Also habe ich um 14 Tage überzogen. Das wird teuer. Ebensolange habe ich das Hotel überzogen. Auch dort habe ich eine saftige Rechnung zu bezahlen. Damit bin ich so gut wie Pleite, und weiß nicht wie ich hier überhaupt wieder weg kommen soll. Nach einem Anruf in meiner Heimat sieht die Sache noch viel ernüchternder aus. Von dort ist keine Hilfe zu erwarten. Im Gegenteil, es warten wohl auch dort die Rechnungen auf mich. Meine Wohnung wurde mittlerweile aufgelöst. Meine Sachen wurden teilweise eingelagert, oder auch vernichtet. Ich habe kein Zu Hause mehr. Ziemlich geschockt sitze ich auf den restlichen Sachen, die mir noch aus meinem Hotelzimmer geblieben sind, und frage mich, was ich jetzt tun soll. Ich brauche irgendwie ein Dach über dem Kopf. Rings um das Hotel herum, vor dem ich gerade auf dem Bürgersteig sitze, befindet sich ein kleinerer Ort. Es sieht hier sogar so aus, als wäre man in einer richtigen Stadt. Die Häuser sind entsprechend hoch, und machen alle einen gewissen Eindruck. Es gibt auch durchaus noble Bürogebäude. Alles konzentriert sich auf relativ kleinem Raum, obwohl doch um die Stadt herum soviel Platz ist. Scheinbar wollte man sich die Investition in zu viele Straßen, mit Kanalisation, und Versorgungsleitungen ersparen, und hat lieber in die Höhe gebaut. Denn außerhalb der Stadt ist nur der Sand. Auch die Straßen dort sind ja nur Sandpisten. Ziemlich verrückte Gegend. Eine seltsame Wüste mit dieser Zivilisationsinsel, die aber nur über die Sandpisten zu erreichen ist. Ich erinnere mich, daß ich bei meiner Ankunft eine Art Sozialbüro gesehen habe. Ich beschließe dorthin zu gehen, und nach Hilfe zu fragen. Die Mitarbeiter dort sind sehr nett zu mir. Sie fragen mich auch nicht wo ich denn die ganze Zeit gewesen wäre, in der ich mein Hotelzimmer und den Mietwagen hatte. Es scheint sie wohl nicht zu interessieren. Ich werde aber den Eindruck nicht los, dass sie viel besser wissen, wo ich war, als ich es selber weiß. Für ein so kleines Entgelt, dass ich mir gerade noch leisten kann, darf ich eine kleine Wohnung mieten. Sie liegt aber nicht hier im Zentrum, sondern außerhalb, verfügt aber trotzdem über Strom, Wasser und Entwässerung. Nur die Straße dort, ist wie alle anderen Straßen außerhalb ja auch aus Sand. Sie bieten mir an, mich mitsamt meinem Gepäck vom Sozialdienst dorthin bringen zu lassen. Froh, doch ein Dach über dem Kopf zu bekommen, willige ich ein. Mir bleibt auch nichts anderes übrig. Als wir uns meinem neuen Zu Hause nähern, schwant mir übles. Hier bin ich doch auch gewesen. Hier draußen. War da nicht dieses schrecklich trostlose Gebäude in einem jämmerlichen Zustand? Mit dieser herunterhängenden Betonwand? Und tatsächlich, dort sollte ich jetzt wohnen. Als wir vor dem Haus parken, sehe ich den maroden Zustand noch genauer. Das Haus sieht absolut baufällig aus. Mit gesundem Menschenverstand möchte man es wirklich nicht betreten. Eine Eingangstür gibt es nicht. Wir gehen in den Hausflur. Innen sieht Alles nach halbfertigem Rohbau aus. In den Ecken liegen Sand- und Schutthaufen. Links über unseren Köpfen hängt eine weitere Betonplatte nur noch an ihren Armierungseisen gehalten, in der Luft. Gegenüber von uns befindet sich ein Aufzugschacht. Aber ohne Aufzug. Hinter der Öffnung für die Aufzugtür sehe ich nur einen Schuttberg. Links neben dem Aufzugschacht geht der Flur weiter. Hier scheint eine Wohnung zu liegen. Zumindest sehe ich eine ordentliche Wohnungstür, die ich hier garnicht erwartet hätte. Nach oben geht es über eine freiliegende Betontreppe, mit rauhen unverputzten Stufen. Die Treppe hat kein Geländer. Meine neue Wohnung liegt im vierten Stock. Die beiden vom Sozialdienst helfen mir, meine paar Sachen hoch zu tragen. Mein anfängliches Hochgefühl wieder ein Dach über dem Kopf zu haben ist völliger Verzweifelung gewichen. Die Beiden klopfen mir aber aufmunternd auf die Schultern, und sagen, daß hier alle ganz nett sind, und ich schon klar kommen würde. Als wir vor meiner Wohnung stehen, sehe ich nur einen Holzverschlag als Tür, so wie auf einer Baustelle. Eine richtige Wohnungstür muß man sich selber besorgen, erfahre ich. Drinnen ist nur kahler Betonboden. Ebenso unverputzte Wände. Die Fenster bestehen nur aus Provisorien. Niedergeschlagen beziehe ich meine neue Wohnung. Die Beiden vom Sozialdienst verabschieden sich, und ich versuche mit meinen wenigen Habseligkeiten die Wohnung einzurichten. Damit bin ziemlich schnell fertig, und beschließe mein Umfeld zu erkunden. Vor meiner provisorischen Wohnungstür wende ich mich nach rechts. Es gibt weiter hinten eine Nachbarwohnung. Dort liegt sogar eine Fußmatte vor einer richtigen Eingangstür. Neidisch schaue ich herüber. Ein kleiner Junge kommt die Treppe hoch. Als er mich sieht, fragt er was ich hier mache. Ich sage ihm, daß ich jetzt hier wohne. Er klopft an seine Wohnungstür, und ein Mann öffnet. Der Junge sagt ihm, daß ich ihr neuer Nachbar bin. Der Mann läd mich prompt zu einem Tee in seine Wohnung ein. Drinnen ist es wirklich sehr gemütlich. Die Wände sind größtenteils mit Teppichen bedeckt. Der Fußboden auch. Auf dem Boden liegen gemütliche Sitzkissen um einen kleinen flachen Tisch mit Teegläsern. Dort sitzt auch die Frau des Mannes mit einem kleinen Mädchen. Sie gießt uns Tee ein, und wir setzen uns dazu. Sie erzählen mir von den anderen Hausbewohnern, und mit der Zeit bekomme ich den Eindruck, es mit sehr netten Menschen zu tun zu haben. Sie wirken nicht so, wie diese geschäftigen, und hochbezahlten Stadtbewohner, mit ihren wichtigen Berufen, den teuren Autos, und ihren Luxuswohnungen. Eher wie Menschen, für die ein schönes Leben nicht unbedingt etwas mit Reichtum zu tun hat. Wohl schon eher mit Leichtigkeit und Freiheit. Das merkt man. Es sind keine ausgebeuteten geschundenen Hände irgendwelcher Minenarbeiter zu sehen. Wohl aber Hände, die schon zupacken können, und es wohl auch tun, wenn es nötig ist. Von ihnen geht Selbstständigkeit aus. Es sind Hände, die niemals für Andere schuften. Es sei denn, diese Anderen sind Freunde, und man hilft sich gegenseitig. Ich bin angenehm überrascht. Meine neuen Nachbarn lassen mich den Schock, jetzt hier wohnen zu müssen langsam überwinden.

Meine erste Nacht in der neuen Wohnung ist dann doch ziemlich rustikal, da ich fast auf dem nackten Fußboden schlafen muß. Als Kopfkissen habe ich nur eine Jacke, und unter mir ein paar Kleidungsstücke. In den nächsten Tagen versuche ich diese Situation zu verbessern, und sehe mich nach weiteren Decken, Matratzen, oder Kissen um. Nach und nach lerne ich die weiteren Hausbewohner kennen. Sie scheinen Alle sehr nett zu sein. Einige helfen mir auch mit Decken und Kissen. Die erste Woche ist fast herum, als der Junge meines Nachbarn mir auf der Treppe entgegen kommt. Er fragt mich, ob ich auch heute Abend hingehe. Ich verstehe nicht was er meint, und frage ihn deshalb, wohin er denn meint.“ Nach unten in die Parterrewohnung zu unserem…,“er bricht ab, und spricht nicht weiter, dann sagt er es aber doch noch, allerdings in einer fremden Sprache, die ich nicht verstehe. „Komm einfach heute Abend in die Parterrewohnung,“ sagt der Junge danach, und geht an mir vorbei, die Treppe hoch. Am Abend sehe ich die übrigen Hausbewohner in die Parterrewohnung gehen, dessen Besitzer ich als Einzigen noch nicht kennengelernt hatte. Ich klopfe auch. Ein etwas älterer Junge öffnet mir die Tür, und bittet mich herein. Alle Hausbewohner sind versammelt, und sitzen auf den gemütlichen Kissen um einen kleinen Teetisch herum. Es sieht hier ähnlich, wie in der Wohnung meiner Nachbarn aus. Mein Nachbar sitzt zusammen mit einem Mann aus dem ersten Stock neben einem etwas älteren Mann, der wohl der Bewohner der Parterrewohnung zu sein scheint. Zumindest ist er der Einzige, den ich noch nicht kennengelernt habe im Haus. Mein Nachbar winkt mich heran, um mich dem Älteren vorzustellen. Das braucht er aber nicht, denn der Parterrebewohner kennt mich scheinbar schon. Er lächelt, als er mich sieht, und fragt:“Wie war es?“Ich sehe ihn verständnislos an, und frage, was er meint. Der Bewohner sieht meinen Nachbarn an. Beide lachen, scheinbar über irgendetwas Bescheid wissend, wovon ich wohl keine Ahnung habe. Der Bewohner sieht mich wieder an, und sagt:“Das macht nichts. Das ging uns Allen am Anfang so. Aber du wirst schon noch dahinter kommen, denn du bist kein Mensch, wie die meisten anderen Menschen. Du bist in der Lage, in Eigenverantwortung Dinge zu tun, wofür Andere sich sogenannte professionelle Hilfe holen, oder sich irgendwelchen Führen anvertrauen, die sie durch die Wüste, oder über Gebirge bringen. Nein, du machst das alles alleine, und deswegen bist du hier auch genau richtig. Wir sind Alle so wie du. Wir hassen es nach oben zu buckeln, für irgendeinen, vielleicht noch aufgeschwatzten Luxus, der überflüssig ist, zu schuften. Hauptsache die Werbung sagt du brauchst das. Wir arbeiten nur für das, was wir wirklich brauchen, und haben wollen.“ Ich lächele, und freue mich über die Worte des Mannes. Die Tochter meines Nachbarn ruft laut, mit ironischer Stimme in den Raum:“Hach, mein Kyleeparfüm ist alle. Ich muß sofort Neues bestellen. Was sollen denn meine Freundinnen von mir denken?“ Der ganze Raum bricht in schallendes Gelächter aus, und ich fühle mich hier sehr gut aufgehoben. Allerdings beschleicht mich das rätselhafte Gefühl, irgendetwas noch nicht ganz verstanden zu haben. Immerhin habe ich noch immer diese Erinnerungslücke, von fast drei Wochen. Was habe ich nur die ganze Zeit gemacht? Ich hatte diese Frage die letzten Tage etwas verdrängt. Jetzt nagt sie aber wieder an meinem Gemütszustand. Ich weiß, daß ich in diesem silbernen Gebäude war. Auch das hatte ich die letzten Tage schon wieder fast vergessen. Aber ich war sogar oben auf dem Dach. Hatte die Sicherheitsleute ausgetrickst. Es war grandios da oben. Das weiß ich noch. Und was war dann? Hm. Die Anderen sehen mir mein Nachdenken an. „Mach dir keine Sorgen. Wir werden dir helfen. Wir halten hier Alle zusammen“, sagt mein Nachbar. Der Parterrebewohner sieht mich auch an, sagt aber nichts. Es scheint aber, als könnte er in mir Lesen, und irgendetwas sehen. Sein Blick bleibt auf mich gerichtet, entfernt sich aber auf irgendeine Art in eine mir unbekannte Dimension. Ich sehe wieder, wie ich auf dem Dach des Klotzes stehe. Sehr hoch oben. Und ich sehe wieder, was ich dort gesehen habe. Die beiden Stege, die auf irgendetwas anderes zulaufen. Und mich selbst auf dem linken Steg auf dieses andere schlanke, bis zum Boden reichende glänzende Nachbargebäude zugehen. Jetzt habe ich es wieder vor Augen. Die beiden Stege enden jeweils an einem schmalen Turm, mit einer metallenen Schiebetür, die einen Aufzugschacht verschließt. Die Aufzüge führen wieder nach unten zum Erdboden. Das Ganze ergibt keinen Sinn. Oder soll es sich etwa um eine Art Notausgang oder Feuertreppe handeln? Nein, dass kann nicht sein. Wenn man in dem Hauptgebäude auf das Dach fahren kann, machen die über die Stege zu erreichenden Aufzüge keinen Sinn. Es sei denn, sie führen zu irgendetwas, was man so einfach über den Boden nicht erreichen kann. Nur von oben. Hm, sehr Rätselhaft. Und ich muß wohl dort gewesen sein. Scheinbar fast drei Wochen lang. Aber ich kann mich nicht erinnern, wie es dann weiterging. „Oh, dass ist gut“,sagt der Parterrebewohner nur, und ich sehe ihn rätselnd an. „Du kannst es schaffen, wenn du all deinen Mut zusammen nimmst. Du brauchst deine gesamte Entschlossenheit, um mit diesem Problem fertig zu werden. Bedenke doch, du bist ja auf der richtigen Seite.“führt er weiter aus. Ich verstehe zwar Nichts, fühle mich aber irgendwie besser. Der Nachbarsjunge ruft in den Raum: „Ja, lass dir nichts gefallen. Schlage zurück, und …“er bricht den Satz mittendrin ab. Ein Erdbeben erschüttert das Haus. Die Wände wackeln. Der Fußboden hebt, und senkt sich dann wieder, und das mehrere Male hintereinander. Das ganze Haus wirkt so als wäre es zähflüssig.

Der Fremde rüttelte so stark an Jonsons Bett, daß es fast auseinander fiel. Dazu trampelte er laut mit den Füßen herum, und brachte die ganze Hütte zum Beben. Jonson wurde wach, tat aber so, als ob er weiterschlafen würde. Er brauchte einen Augenblick, um weiter wach zu werden. Außerdem haßte er Erdbeben. Und zwar richtig. Als Jonson kapiert hatte, dass der Fremde das Erdbeben verursachte, spürte er unbändige Wut in sich aufsteigen. Seine gestrige Angst vor dem großen unbekannten Fremden verwandelte sich jetzt in Mut, und Groll. Als der Fremde Jonson an der Schulter packen wollte, schnellten Jonsons Hände überraschend empor, ergriffen den Kopf des Fremden, um ihn gegen das obere Bett zu schlagen. Das brachte zwar nicht viel, aber Jonson konnte zur anderen Seite aus dem Bett flüchten, wo ihm aber der Fremde sofort nachstellte. Jonson schmiß den noch leicht heißen Wasserkessel auf den Fremden. Das gab ihm ein paar Sekunden, um in seine Schuhe zu schlüpfen. Der Fremde berappelte sich, und wollte sich gerade auf Jonson stürzen, als dieser, auf das Zubinden der Schuhe verzichtend, sich gerade noch einen Silberstein schnappend, aus der Hütte flüchten konnte. Die Tür schlug er dabei dem Fremden vor den Kopf, was scheinbar auch etwas Wirkung zeigte. Jonson rannte auf die Forststraße. Hinter ihm wurde die Hüttentür wieder aufgestoßen. Jonson rannte weiter. Der Fremde hinterher. Jonson suchte nach einer Möglichkeit, von der Forststraße abzubiegen, den Hang herunter. Es sah aber nicht sehr geeignet aus. Der Fremde schien etwas aufzuholen. Jonson entschied sich jetzt doch für den Abhang. Er sprang rechts von der Forststraße herunter, und viel zuerst hin, um dann weiter herunter zu rollen. Nach einiger Zeit schaffte er es wieder, seine Abwärtsbewegung zu kontrollieren. Er versuchte schnell weiter runter zu gelangen. Irgendwann drehte er sich um, und sah sich nach dem Fremden um. Er konnte ihn aber nirgendwo entdecken. „Bloß weg hier“,dachte Jonson, und versuchte, weiter den Berghang herunter zu steigen.

Der Fremde hatte Jonson den Hang herunterspringen gesehen, und wollte gerade hinterher, als er auf der Forststraße einen anderen Mann, in einem Regenmantel sah, der in seine Richtung kam. Der Fremde hob die Hand, um dem Mann im Regenmantel herrisch zu winken, und rief: „Komm her! Er ist hier runter gerannt.“ Der Mann im Regenmantel wäre Jonson kein Unbekannter gewesen, wenn er ihn hätte sehen können. Es war der andere Wanderer, der spätabends noch, durchnäßt in Jonsons Gasthof aufgetaucht war, und am nächsten Morgen den Eindruck, er hätte etwas zu verbergen, gemacht hatte. Als dieser den großen Fremden erreichte, sagte er: „Ach lass ihn doch. Wir schaffen das auch alleine. Willst du den die ganze Zeit bewachen?“ „Er wohnt bei dir im Gasthof. Wenn er dich wiedererkennt haben wir ein Problem,“antwortete der Fremde. „Aber er weiß doch nichts, und hat mich gar nicht mit dir zusammen gesehen. Außerdem wird sich das wohl von selbst erledigen, wenn er versucht, weiter herunter zu gehen,“ sagte der Mann im Regenmantel, und spielte damit auf die weiter unten liegende Steilwand an. „Ich will sicher gehen, daß er nicht mehr reden kann,“entgegnete der Große. Doch der Wanderer winkte ab, und bestand darauf die silbernen Steine zu sehen. Also gingen sie zu der kleinen Hütte, wo der Wanderer die Silbersteine begutachtete.

Als Jonson das Gefühl bekam, nicht mehr verfolgt zu werden, blieb er wieder stehen. Er sah sich noch einmal genauer um, konnte den Fremden aber nirgendwo sehen. Unterhalb von ihm begann Bergwald. Das sah für Jonson nach einer guten Chance aus, doch noch ganz verschwinden zu können. In dem Wald wurde der Hang weniger steil. Er schien langsam in flacheres Gelände über zugehen. Jonson ging tiefer in den Wald hinein. Der Waldboden verlief zwar nicht mehr so steil, wie das Gelände oberhalb, aber war von tiefen Gräben durchzogen. Hier und da lagen Reste von umgestürzten Bäumen. Ihre mächtigen Wurzelballen ragten in die Höhe, und hatten teilweise tiefe Furchen in den Waldboden gerissen. Jonson mußte sich nach einer möglichen Passage durch den Wald umsehen, und achtete nicht genau auf das weiter weg Liegende. Er schaffte es die vielen tiefen Furchen und Gräben, und die Baumwurzeln zu passieren, und ging instinktiv auf das Ende des Waldes zu. Denn dort, wo keine Bäume mehr zu sehen waren, mußte es ja aus dem Wald herausgehen. Anscheinend hatte der gestrige Schlag auf seinen Hinterkopf doch seine Fähigkeit, die Situation am Berg einschätzen zu können beeinträchtigt. Eigentlich wäre er sehr vorsichtig gewesen, wenn da plötzlich Nichts mehr vor ihm zu sehen wäre. Dort könnte es ja auch einfach nur steil nach unten gehen. Aber Jonson wollte nur schnell durch den Wald, und weiter herunter gelangen. Als er den letzten Graben im Wald erreichte, und gerade auf der anderen Seite wieder hoch gestapft war, stellte er fest, daß vor ihm nichts mehr war. Er sah direkt auf die gegenüber liegenden Berghänge. Unter ihm ging es steil, fast senkrecht nach unten. Erschrocken wollte er zurückweichen, rutschte aber auf dem bröckeligen Boden aus, und fiel hin. Er versuchte sich, mit den Händen irgendwo festzuhalten. Das gelang nicht. Seine Füße fanden auch keinen Halt mehr, und er rutschte, immer schneller werdend in die Tiefe. Es gab nur wenig Geröll, über das er rutschte. Aber das Wenige tat ihm um so mehr weh, weil er ja auch keinen Rucksack mehr trug, und der Rücken alles direkt abbekam. Der Schmerz verschwand, gemeinsam mit seinem Bewußtsein, als er unsanft mit dem Kopf an einem Stein vorbei schrappte, und auf einem Felsvorsprung liegen blieb.

Etwas entfernt in der Steilwand, erhoben sich zwei Paar sehr große Flügel. Sie kreisten in großer Höhe über Jonson, und schienen zu warten. Es waren die Flügel von zwei Bartgeiern. Aber ihre Stunde schien wohl noch nicht gekommen zu sein. Bekanntlich essen sie ja nur Totes. Dafür schien ein anderes Paar Flügel, was noch größer war, seine Chance zu wittern. Die Flügel waren pechschwarz, und gehörten zu einem ausgewachsenen Steinadler. Er näherte sich ebenfalls Jonson. Auch der Adler war nicht im Stande, Jonson einfach zu packen, und mitzunehmen. Er schien aber gewillt, sich vielleicht ein Stückchen aus Jonson heraus zu picken. Die beiden Geier duldeten aber keine Konkurrenz, und stürzten sich auf den Adler, der sich auch zu Jonsons Glück vertreiben ließ. Und so kam es, daß Jonson ohnmächtig auf einem Felsvorsprung in dieser Steilwand lag, und die Geier alles mögliche tierische Ungemach von ihm fernhielten. Die Zeit verging.