
Als das Haus von dem Erdbeben erschüttert wird, drängen Alle hastig nach Draußen. Wir stehen um das Haus herum, und beobachten, wie es weiter durchgeschüttelt wird. Der Boden um uns herum hebt und senkt sich wellenförmig. Dann bricht ein Stück der Hausvorderwand ab. Die dahinter liegenden Wohnungen sind zu sehen. Nach einiger Zeit beruhigt sich der Boden wieder. Wir starren geschockt auf das Haus. Viele der Bewohner resignieren, weil sie ihre Wohnungen nicht mehr benutzen können. Alle sind frustriert. Wir sehen, daß auch andere Teile des Hauses beschädigt, und nur noch wenige Wohnungen benutzbar sind. Die Meisten ziehen also aus dem Haus aus. Zusammen mit meiner Nachbarfamilie, der Parterrefamilie, und einiger weniger Anderer bleibe ich. Für uns Verbliebenen ist es selbstverständlich, hier zu bleiben. Obwohl das Haus jetzt natürlich noch wesentlich ramponierter ist. Als ich mich am Abend wieder in meiner Wohnung schlafen lege, mittlerweile auf einer richtigen Matratze, denke ich an den Aufzugschacht im Haus. Ich habe die leere Öffnung für die Aufzugtüren vor Augen. Im Geiste schaue ich in den Schacht. Ein großer Schuttberg verbirgt den Boden. Es scheint aber noch in ein Kellergeschoß zu gehen. Hinter dem Schutt erkenne ich einen Teil der Kellerwand, und es scheint auch ein Gang, oder eine Art Kanal davon abzuzweigen. Das kann ich nicht genau erkennen, und beschließe näher heran zu gehen. Ich klettere den Schuttberg herab, und sehe in den vermeintlichen Kellergang. Es ist ein Gang ohne Türen. Wohl doch eher so etwas wie ein Kanal. Aber da vorne geht der Gang um eine Ecke. Bestimmt geht es dort zu den Kellerräumen. Ich betrete den Gang. Es wird immer dunkler. Licht fällt nur aus dem Schacht in den Gang. Ich gehe bis dort, wo der Gang um die Ecke geht, und versuche etwas zu erkennen. Viel sehe ich aber nicht. Vor mir liegt Dunkelheit. Weiter hinten sehe ich nach einiger Zeit doch etwas Helles. Von dort scheint Licht in den Gang zu fallen. Ich gehe darauf zu. Türen scheint es nicht zu geben. Der Gang ist einfach nur ein Gang. Ich gehe weiter, und kann etwas mehr erkennen. Das Licht weiter vorne scheint aus der Decke zu kommen. Dort muß wohl eine Öffnung sein. Als ich sie erreiche, sehe ich über mir ein Loch, durch das Tageslicht fällt. Der Gang verläuft vor mir weiter geradeaus, und verschwindet dann in der Dunkelheit. Ich gehe weiter in das Dunkle hinein, und sehe nach einiger Zeit, wieder etwas Helligkeit von der Decke aus in den Gang scheinen. Ich gehe weiter, und sehe, daß es wieder ein ähnlich aussehendes Loch in der Decke ist. Der Gang geht immer noch geradeaus weiter. Ich folge ihm. Das müssen jetzt schon mehrere hundert Meter gewesen sein. Ich kann es aber nicht genau sagen wie lange ich schon in diesem Gang unterwegs bin. Ich gehe immer weiter, und diese Öffnungen in der Decke sorgen in regelmäßigen Abständen für etwas Licht. Dann erreiche ich wieder solch eine Öffnung, und sehe, daß der Himmel darüber sehr dunkel und wolkenverhangen ist. Jetzt sehe ich weniger hier unten in dem Gang. Er scheint aber plötzlich bergauf zu gehen. Ich versuche meine Augen an das Dunklere zu gewöhnen, und gehe weiter. Nach einiger Zeit sehe ich, zwar auch nur dunkel, das Ende des Ganges. Es scheint aber keine Sonne hinein, sonder führt wohl in die Nacht, oder vielleicht nur in schlechtes Wetter. Als ich das Gangende erreiche, und in das Freie gehe, sehe ich einen stark bewölkten Himmel. Es ist sehr dunkel, aber ich kann nicht sagen, ob das an der Uhrzeit, oder den Wolken liegt. Um mich herum ist Wüste, aber sie sieht anders aus, als die Wüste um das Haus herum. Ich sehe so etwas wie Landschaft. Zumindest ein paar karge Pflanzen, und es ist nicht flach, sondern geht links einen leichten Hügel hinauf, auf dem sich der Bewuchs, und das Landschaftsbild ändert. Trotz des, von den dichten Wolken verdunkelten Himmels, scheint es mir, als ob weiter hinten, kurz vor dem Horizont etwas aufblitzt. Dort muß es wohl ein Sonnenstrahl durch die dicken Wolken geschafft haben, der irgendetwas funkeln läßt. Ich glaube, dort muß ich hin. Ich gehe auf das Funkeln zu, durch eine leicht bewachsene, mit milden Hügeln durchsetzte Wüstenlandschaft. Alles in Allem, scheint hier irgend etwas zu sein. So eine Gegend sieht wesentlich normaler aus, als die, um unser Haus herum. Und dieses unbekannte Glitzern zieht mich magisch an. Es scheint aber noch weit entfernt zu sein, und ich vergesse die Zeit um mich herum. Ich gehe immer weiter, nur in eine Richtung, auf das Funkeln zu. Irgendwann muß ich mich hinsetzen, und Pause machen. Zum Glück bin ich unterwegs an ein paar Bäumen, mit Früchten, die eßbar zu sein schienen, und ich gepflückt hatte, vorbei gekommen. Jetzt geben mir dir Früchte neue Kraft, und Flüssigkeit. Ich wandere immer weiter, diesem Funkeln entgegen. Zwischendurch muß ich mich sogar schlafen legen. Zum Glück finde ich genügend zu Essen. Wie lange ich jetzt schon auf dieses Glitzern zulaufe, weiß ich wirklich nicht. Jedenfalls habe ich jetzt schon öfter geschlafen, und bin wieder weiter gegangen. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern. Mittlerweile erkenne ich aber etwas mehr, als nur ein Glitzern. Dort scheint irgendetwas aufzuragen. Es ist noch nicht genau zu erkennen, was das ist. Anscheinend irgendetwas schlankes Hohes. Als ich mich weiter nähere, sehe ich zwei schlanke, sehr hohe Türme. Sie wirken metallisch, und scheinen in der Sonne zu funkeln, die aber gar nicht scheint. Ich sehe jetzt, daß hier kein Sonnenstrahl durch die Wolken bricht. Trotzdem glitzern diese Türme so, als ob sie in der Sonne stehen würden. Ich gehe näher heran. Die Türme sind schlank, mit einem Durchmesser von höchstens zwei oder drei Metern, aber sehr hoch. Sie haben nur diese metallisch glänzende Fassade, ohne irgendwelche erkennbaren Strukturen. Das Einzige, was ich in der Fassade entdecken kann, ist eine Schiebetür, wie in einem Aufzug. Ich sehe auch tatsächlich so etwas, wie einen Aufzugknopf, und drücke darauf. Die Tür öffnet sich, und ich sehe wirklich eine Aufzugkabine vor mir, die ich betrete. An der Wand befinden sich nur zwei Knöpfe, von denen ich den Oberen drücke. Die Tür schließt sich, und der Aufzug setzt sich in Bewegung. Es geht anscheinend sehr weit nach oben. Dann öffnet sich die Aufzugtür. Ich sehe einen Steg, der auf irgendetwas zu führt. Ich betrete den Steg. Er scheint sich in sehr großer Höhe zu befinden. Beim herunter Sehen wird mir schwindelig. Ich sehe, daß der Steg auf das Dach eines größeren Gebäudes führt. Ich weiß nicht, wo ich hier bin, und ob ich einfach so hier sein darf. Aber dieses größere Gebäude zieht mich magisch an. Ich mache ein paar Schritte nach vorne. Über den Steg wehen Nebelfetzen. Es ist natürlich dunkel, wie immer. Ich weiß nicht, ob es Nacht ist, oder nur die Wolkendecke so dicht ist, daß es mir wie Nacht vorkommt. Als die Nebelfetzen einen Augenblick die Sicht über den Steg freigeben, erkenne ich eine Gestalt am gegenüber liegenden Ende, anscheinend mir entgegen kommen. Ich bleibe stehen. Die Gestalt scheint auch nicht näher zu kommen. Sie bleibt ebenfalls stehen. Die Nebelschwaden lassen mich nichts Näheres erkennen, aber ein ungutes Gefühl beschleicht mich. Wer ist das? Der wird mich bestimmt nicht vorbei lassen. Angst, irgendwo zu sein, wo ich nicht sein darf, läßt meine Gedanken wieder zurück kommen. Ich sehe wieder meine Wohnung, und liege immer noch auf meiner Matratze. Ich weiß, ich habe ja immer noch dieses Rätsel zu lösen. Aber bringt mich das wirklich weiter? Ok, ich habe jetzt eine mögliche Variante, wo ich so lange gewesen sein könnte, aber habe ich das denn gemacht? Das ist schon seltsam. Ja ich war wirklich dort auf diesem Steg, nachdem ich ein Bier mit den Wachleuten, unten im Atrium getrunken hatte. Aber was ich dann gemacht habe, fällt mir absolut nicht mehr ein. Aber es kommt mir jetzt so vor, als hätte ich mich gerade in meinen, vor mich hin geträumten Gedanken dort auf dem Steg gesehen. Und außerdem scheine ich ja jetzt zu wissen, wo die Aufzüge, am Ende des Steges hinführen. Ich war ja schließlich gerade dort, wenn auch nur in Gedanken. Das läßt mich natürlich weiter rätseln, und ich finde keinen Schlaf. Nein, ich muß es jetzt herausfinden. Also stehe ich wieder auf, und ziehe mich an. Ich muß einfach runter zum Aufzugschacht, und nachsehen, ob es dort wirklich weiter geht. Ich klettere den Schuttberg herunter, und finde auch wirklich den Gang, in den ich, genau so, wie gerade gedacht, hineingehe. Es ist auch tatsächlich so, wie ich es vor Augen gehabt hatte. Immer wieder treffe ich auf die Deckenöffnungen mit dem Licht, und gehe weiter. An der letzten Deckenöffnung sehe ich auch den dunklen Himmel, so wie vorher in meinen Gedanken, und gelange wenig später in das bewölkte Freie. Alles sieht so aus, wie ich es vorher gesehen hatte, und ich wandere wirklich tagelang auf ein unbekanntes Glitzern zu, bis ich die Türme in Echt vor mir habe, und auch hoch fahre. Die Aufzugtür öffnet sich, und gibt den Blick auf den Steg frei. Ich trete hinaus. Der Steg befindet sich wirklich in schwindelerregender Höhe, und führt zu einem benachbarten Dach. Ich kann Niemanden sehen, und gehe weiter, über den Steg, zu dem Nachbargebäude. Auf dem Dach ist auch Niemand. Ich bin nach der langen mehrtägigen Wanderung etwas enttäuscht. Aber was hatte ich denn erwartet? Etwa, mich selber zu treffen? Ich merke, daß ich ganz schön Durst bekomme, und wohl auch nicht allzu viel Nahrung hatte, die letzten Tage. Ich muß irgendwie hier raus, und sehen, daß ich mal wieder irgendwo vorbei komme, wo es etwas gibt. Aber nicht den gleichen Weg zurück. Das dauert zu lange. Durch das Gebäude nach unten, und draußen wieder zurück, zu meiner Wohnung dauert nicht mehrere Tage, sondern nur wenige Stunden. Die Materialaufzüge an den Ecken sind mir ja bekannt. Hier war ich schließlich schon, und das angeblich drei Wochen lang. Ich benutze den gleichen Eckturm, wie beim ersten Besuch, und fahre nach unten. Während ich durch die Hohlräume zum Ausgang gehe, verliere ich immer mehr Kraft. Ich brauche jetzt wirklich dringend etwas zu trinken. Als ich neben dem Ausgangsbereich aus dem kleinen Hohlraum in das Atrium trete, habe ich das Gefühl zusammen zu brechen. Ich erkenne einen Pförtner, und versuche ihn auf mich aufmerksam zu machen. Geheimhaltung in dem Gebäude hin und her, ich brauche jetzt Hilfe. Er beachtet mich aber nicht. Deswegen gehe ich auf ihn zu, und rufe um Hilfe. Kurz vor ihm falle ich wirklich hin, und bleibe auf dem Boden liegen. Ich röchele noch etwas. Der Pförtner reckt den Kopf, und sieht zum Treppenhaus. Er macht einen Schritt nach vorne, auf mich zu. Er macht einen zweiten Schritt. Sein Fuß stoppt direkt neben mir. Aber er beachtet mich nicht, und setzt zu einem weiteren Schritt an. Ich sehe seinen Fuß auf mich zukommen, und durch mich hindurch gehen. Ich spüre davon nichts. Der Pförtner geht einfach weiter, mit seinen Füßen mitten durch mich durch, und verschwindet. Mein Durstgefühl wird immer größer. Ich halte es nicht mehr aus. Ich schaffe es nicht mehr, auf die Beine zu kommen, und mir schwinden die Sinne.
Auf Jonsons Felsvorsprung waren einige Tage vergangen. Sein Körper war mittlerweile ausgedörrt bis zum Geht nicht mehr. Die Geier hatten ihn die ganze Zeit von oben im Visier, mussten aber jetzt feststellen, daß er sich regte. Etwas Enttäuschung, doch noch ihre Beute zu verlieren, machte sich in ihnen breit. Dabei hatten sie doch so gut auf ihn aufgepaßt. Und Alles, ohne am Ende belohnt zu werden? Sie wünschten sich, daß jetzt ein Stein herunter fiele, und ihnen doch noch zu etwas Essbarem verhelfen würde. Aber dem war nicht so, und Jonson kam langsam wieder zu sich. Er glaubte, jeden einzelnen Knochen zu spüren. Außerdem tat der Kopf weh. Ziemlich benommen versuchte er in eine Sitzposition zu gelangen, und lehnte sich am Felsen hinter sich an. Er realisierte, daß er abgestürzt war, aber scheinbar, bis auf ein paar Schmerzen, nichts Schlimmeres davon getragen hatte. Trotzdem bekam er das Gefühl sehr in der Bredullie zu sein. Dafür brauchte er sich nur umzusehen. Zu beiden Seiten sah er nur Steilwand. Ebenso unterhalb von ihm, sowie oberhalb. Wie sollte er nur von hier wieder weg kommen, wenn er sich überhaupt noch bewegen konnte. Wieder hoch zu klettern schien ihm unmöglich. Und runter, oder zu den Seiten war erst Recht nicht möglich. Resigniert blieb er sitzen, und wusste nicht, was er tun könnte. Dann bemerkte er erst, wie durstig er war, und im Magen machte sich ein riesiges Hungergefühl breit. Er sah zwei große Vögel über sich kreisen, und fühlte sich angestarrt. Auch einige Bergdohlen in der näheren Umgebung schienen sich für ihn zu interessieren. Sie hatten sehr große Schnäbel, und schienen nicht wirklich freundschaftliche Gefühle, ihm gegenüber, zu haben. Er fühlte sich eher so angesehen, wie er selber vielleicht sein Schnitzel ansieht, wenn es vor ihm auf dem Teller liegt. Nach einiger Zeit kletterte eine Gämse, scheinbar mühelos in der Steilwand herum. Von dem wenigen Gras auf Jonsons Felsvorsprung angelockt, kam sie zu ihm. Das war zwar ziemlich ungewöhnlich, da die Tiere normalerweise sehr scheu waren, aber sie schien in Jonson wohl keine Gefahr zu sehen, da er ja schon eine ganze Zeit lang regungslos herum gelegen hatte, und jetzt einfach nur an der Felswand saß. Sie knabberte das wenige Gras, nur ein paar Meter von Jonson entfernt, und sah ihn dabei an. Ihr Blick sprach Bände. „Wie kann man nur so doof sein“, schien sie zu denken. „Hier einfach herum zu laufen, ohne das auch nur im Geringsten zu können. Das sind doch wohl ein paar dämliche Zweibeiner“, sagte der Gesichtsausdruck der Gämse. Als sie genug von dem Gras hatte, ging sie ohne Mühe, dort wo Jonson herunter gerutscht war, die Felsen hoch. Jonson sah ihr hinterher, und stellte fest, daß die Gämse eine sehr geschickte Route, jeweils rechts und links von seiner Falllinie wählte. Das gab ihm neuen Mut, es ebenfalls zu versuchen wieder hoch zu klettern. Er rappelte sich auf, und versuchte sich den Weg, den die Gämse genommen hatte zu merken. Er schaffte es leider nicht ganz, die gleiche Route zu nehmen, und hatte daher ein paar Schwierigkeiten, rutschte ein paar Mal ab, und konnte sich gerade noch so festhalten. Aber er schaffte es, allmählich wieder hoch zu gelangen. Irgendwann erreichte er wieder die Stelle, an der er ausgerutscht war, und blieb erschöpft liegen. Aber der Durst und der Hunger nagten weiter an ihm, und so konnte er nicht einfach liegen bleiben, sondern rappelte sich auf, Er durchquerte wieder den Bergwald mit seinen grob durchfurchten Gräben, und den senkrecht stehenden Wurzeln. Ein gutes Stück oberhalb wußte er die Forststraße. Vorher wurde der Berghang aber wieder steiler, und Jonson wußte, daß er sich rechts halten mußte, um bloß nicht wieder in die Nähe der Hütte mit dem gefährlichen Fremden zu gelangen. Die Angst, doch wieder auf ihn zu treffen kroch jetzt in ihm hoch. Er bewegte sich den steilen Berghang etwas seitlich hoch, und bemühte sich, erst wieder auf die Forststraße zu treffen, als sie weit genug von der Hütte entfernt zu sein schien. Jonson sah sich um, ängstlich erwartend wieder auf den Fremden zu stoßen. Aber es war Niemand zu sehen. Er ging die Forststraße von der Hütte weg, in Richtung des größeren Tales, in dem sein Gasthof lag. Immer wieder drehte er sich um, und schaute, ob der Fremde hinter ihm war. Er versuchte seine Schritte zu beschleunigen, was ihm aber nur noch kläglich gelang. So hetzte er mit letzter Kraft weiter, bis er einen Mann in einer hellen Jacke sah, der ihm aus einem Waldstück, auf der Forststraße entgegen kam. Erst zuckte Jonson zusammen. War das der Fremde? Nein, der entgegenkommende Mann war anders gekleidet und hatte auch eine andere Körperstatur. Erleichtert, Jemanden zu sehen, ging Jonson weiter. Der Mann kam ihm weiter entgegen, und Jonson sah, daß es sich um einen Mann im frühen Rentenalter handelte, was ja, für Jonson, auch schon ziemlich alt war. Er ging aufgeregt auf den Mann zu und winkte mit der Hand. Als sie sich erreichten, versuchte Jonson zu erzählen, was ihm passiert war, und wollte den Mann vor der Berghütte mit dem Fremden warnen. Er zeigte ihm auch den silbernen Stein, den er immer noch bei sich trug. Als der Mann den Stein sah, brach er in Gelächter aus, und sagte zu Jonson, daß diese Steine überall, im gesamten Gebirge herumliegen würden, und man absolut gar nichts damit anfangen könnte. Ansonsten wären sie auch bestimmt schon vor Jahrhunderten abgebaut worden. Das mit dem bösen großen Fremden ließ den Mann aber auch überlegen, ob man nicht doch die Gendarmerie verständigen sollte. Leider hatte er kein Wasser dabei, sagte aber zu Jonson, daß weiter unterhalb eine Quelle am Wegrand liegen würde, und daß es danach auch nicht mehr so weit, bis zum Dorf zurück wäre. Außerdem würden sie Jonson dort schon seit Längerem vermissen, weil er seit Tagen nicht mehr in seinem Gasthof gewesen wäre. Das hätte sich schon in dem Ort herumgesprochen. Jonson versprach, zum Gasthof zurück zu kehren, und daß er es wohl alleine schaffen könnte. Der Wanderer ging die Forststraße noch ein Stück weiter entlang, während Jonson talwärts lief. Er fand auch die beschriebene Quelle, und löschte seinen Durst. Die Forststraße führte in sehr weit auslaufenden Serpentinen hinunter in das Tal. Zum Glück konnte Jonson den Weg auf einem steil herabführenden Pfad abkürzen, und erreichte auch bald wieder den Wanderweg, den er bei seinem Aufstieg genommen hatte. Jetzt war es wirklich nicht mehr sehr weit, bis zu seinem Gasthof. Als er dort ankam, und der Wirt ihn erblickte, fiel dieser aus allen Wolken. Jonson war seit vier Tagen nicht mehr in seinem Zimmer gewesen, und die Bergwacht hatte schon die ganze Zeit nach ihm gesucht, aber nicht gewußt, wo er abgeblieben war. Der Wirt verständigte die Bergwacht über das wieder Auftauchen Jonsons, und alle schienen erleichtert. Jonson stärkte sich mit einem kräftigen Essen, berichtete, daß er abgestürzt war, und es nur mit Glück geschafft hatte, wieder hoch zu klettern. Von den silbernen Steinen, und dem brutalen Fremden sprach er erst mal nicht. Danach ging er auf sein Zimmer, um sich hin zu legen, und sich gründlich auszuruhen. Am nächsten Morgen hatte er die Strapazen etwas überstanden. Es tat ihm zwar noch alles Mögliche weh, aber er rappelte sich auf, und ging zum Frühstücken hinunter. Auf dem Weg in den Frühstücksraum traf Jonson auf einen Mann in Gendarmerieuniform, der noch einige Auskünfte von Jonson wollte. Jonson erzählte ihm den gleichen Teil der Geschichte, den er auch gestern Abend dem Wirt erzählt hatte. Der Gendarm fragte Jonson nach einem sehr großen, kräftig gebauten Mann. Als Jonson sagte, daß er nichts von solch einem Mann wisse, guckte der Gendarm enttäuscht, fragte aber nicht mehr weiter nach. Jonson ging endlich frühstücken. Danach wollte er wieder auf sein Zimmer, traf aber im Flur auf den Wirt, der Jonson aufforderte, sich doch noch von einem Arzt untersuchen zu lassen. Schließlich wäre er ja sehr schwer gestürzt. Jonson wollte sich aber einfach nur wieder hinlegen, doch der Wirt bestand auf einen Arztbesuch, und sagte, daß seine Tochter ihn mittags zu einem Arzt fahren würde. Also willigte Jonson ein, und ging noch bis zum Mittag auf sein Zimmer.
Der Arzt erklärte Jonson, daß er, um innere Verletzungen auszuschließen, eigentlich in ein Krankenhaus müsste, aber, von seinen vielen Schrammen und Prellungen abgesehen, wahrscheinlich nur eine leichte Gehirnerschütterung davon getragen hätte. Jonson dankte ihm, und fuhr wieder, mit der Tochter des Wirtes, zum Gasthof zurück. Nach dem Abendessen saß Jonson schon wieder vor einem Glas Bier, und unterhielt sich mit dem Mann, vom ersten Abend, der ihm von den Bergwiesen erzählt hatte. Der Mann schien hier Stammgast zu sein, und wohnte auch hier im Ort. Jonson erzählte ihm von der Sennerin, die er getroffen hatte. Der Mann war erstaunt, und fragte wie die Sennerin ausgesehen hätte. Jonson beschrieb die etwas altmodisch wirkende Kleidung der Sennerin, erzählte von dem leckeren Kräutertee, den sie gekocht hatte, und daß sie tolle Geschichten von den Bergen, und den Steinen, die in den Himmel wuchsen, erzählt hatte. „Das war Maria“, sagte der Mann. „Wir alle hier kennen ihre Geschichte. Sie wird von Manchen verehrt, und Andere halten sie für eine Hexe, mit ihren Kräutergemischen. Aber sie hat vor Hundert Jahren dort oben gelebt. Heute wird die Alm schon seit langer Zeit nicht mehr bewirtschaftet.“ Jonson sah den Mann ungläubig an. Er konnte es nicht fassen, auf eine Einbildung hereingefallen zu sein, als der gleiche Gendarme, wie morgens, die Gaststube betrat, und mit Jonsons Rucksack in der Hand, an den Tisch heran trat. „Hier, den haben wir gefunden“, sagte der Gendarme. Jonson war froh, seinen Rucksack wieder zu bekommen, der scheinbar unversehrt geblieben war, und bedankte sich. Der Gendarme sagte: „Wir haben ein Auto gefunden, dass von der Forststraße, die zur kleinen Berghütte führt, abgekommen ist, und den Abhang herunter gefallen ist. Drinnen war der Rucksack.“ Jetzt sah Jonson den Gendarme ungläubig an, denn er wusste nichts von irgendeinem Auto. „Das Auto war verlassen. Der Fahrer scheint den Absturz überlebt zu haben, und ist wohl geflüchtet. Wir haben in der weiteren Umgebung Niemanden gefunden,“ fuhr der Gendarme fort, wobei er Jonson merkwürdig ansah. Der zuckte nur mit den Achseln, und sagte, dass er nicht verstehen könnte, wie sein Rucksack in irgendein Auto käme. „Ich weiß nicht mehr, wo ich ihn genau verloren habe, bevor ich abgestürzt bin. Aber es war keine Forststraße in der Nähe,“ versuchte Jonson davon abzulenken, dass er die Geschichte mit dem Fremden nicht erzählt hatte. Er konnte einfach nicht darüber berichten. Irgendwie hatte er immer noch Angst. Der Gendarme zweifelte aber an Jonsons Geschichte, und ging wohl davon aus, dass Jonson vielleicht den Wagen gefahren hätte, und im Schockzustand zurück zum Gasthof gelaufen wäre, und wahrscheinlich Erinnerungslücken hätte, oder diese vortäuschen würde. Er ließ Jonson trotzdem erst mal in Ruhe, und sagte dass er nochmal wieder kommen würde. Das Gefühl mit der nur eingebildeten Sennerin noch gar nicht verdaut, machte sich jetzt doch die Angst vor dem großen Fremden in Jonson breit. Er stellte sich vor, wie der Mann mit den Silbersteinen die Forststraße herunter gefahren, und irgendwo verunfallt wäre, und jetzt vielleicht irgendwo herum liefe, und nach Jonson suchen würde. Erschrocken sah Jonson, die sich hinter dem Gendarme schließende Tür, und bekam Angst davor, wer als Nächstes herein kommen würde.
Nachdem der große Fremde dem Mann im Regenmantel die Silbersteine gezeigt hatte, gingen sie hoch zu dem Silberfelsen, und sammelten weitere Steine ein. Als sie wieder an der Hütte ankamen, machte der Mann im Regenmantel sich auf den Weg zurück in das Tal, um ein Auto zu holen. Der Große holte noch eine Ladung Silbersteine vom Berg. Als er gerade zurück war, kam auch schon der Andere mit einem kleinen Geländewagen zur Hütte gefahren. Die eingesammelten Steine füllten das Auto bis auf den Beifahrersitz aus, und der Mann im Regenmantel befahl dem Großen, dass Auto vorsichtig herunter in das Tal zu fahren. Er selber würde zu Fuß hinterher kommen. Der Große war ja für seine zornige Art bekannt, und fuhr ziemlich forsch los. Vielleicht hatte er ja auch überlegt, einfach mit der Ladung durch zu brennen. Der Mann im Regenmantel gestikulierte noch. „Langsam,“ rief er hinter dem Wagen her. Der Große stochte über die Forststraße davon. Erstmal verlief die Forststraße gerade und flach, um dann in ihren weiten Serpentinen in das Tal herab zu führen. Am Schluss ging die Straße sehr steil, ohne weitere Kurven in das Tal. Links lag der Abgrund, und rechts der Berg. Die Forststraße war auch nur so breit, dass gerade mal ein Auto Platz hatte. Schon ein entgegen kommender Fußgänger wäre zuviel gewesen. Der Große fuhr nicht gerade vorsichtig herunter, und wurde, als er in ein dunkles Waldgebiet kam, von einigen Schneeresten auf dem Weg überrascht. Das wäre für den Allradgeländewagen kein Problem gewesen, wenn da nicht auch noch diese Querrinne mit dem Tauwasser, die einfach zuviel Gefälle nach links hatte, um mit solch einem Tempo darüber zu fahren. Es kam wie es kommen musste. Der Große verriss nur etwas das Lenkrad, und der Geländewagen kam vom Weg ab, um sich den Abhang herunter, aber nicht überschlagend, seinen Weg nach unten bahnend, in das Tal zu bewegen. Der Große war ziemlich robust, und überstand den Unfall auch aufgrund der glücklichen Fallumstände und der mittlerweile niedrigeren Lage. Er berappelte sich nach einiger Zeit, und kletterte aus dem Auto, dass ziemlich ramponiert aussah. Trotzig begann er die Steine einzusammeln. Den ersten Korb hatte er schon in einer nahegelegenen, aber uneinsichtlichen, und unbekannten Höhle abgelegt, als der Mann im Regenmantel die Unfallstelle erreichte, und zu ihm herunter kletterte. Gemeinsam bargen sie die restlichen Steine, und versteckten sie ebenfalls in der Höhle. Der Große schien sich gut in der Gegend auszukennen. Er war sich sicher, dass hier so schnell niemand suchen würde. Sie begannen die Steine Körbeweise in das Tal zu tragen. Allerdings weglos, nach den Richtungsangaben, die der Große vorgab. Im Tal lagerten sie die Steine in einem alten Heuschober auf irgendeiner, der zwischen den Ortschaften liegenden Wiesen. Sie mussten wieder hoch um den Rest zu holen, und waren erstmal für länger als einen Tag beschäftigt. Als die Gendarmerie, gemeinsam mit der Bergwacht, die Gegend durchkämmte, blieben sie, dank der Ortskenntnis des Großen unentdeckt, und konnten die restlichen Silbersteine in den Heuschober schaffen. Der Mann im Regenmantel sagte, dass er ein Fahrzeug besorgen würde, um die Steine ab zu transportieren. Der Große sollte so lange in der Gegend bleiben, und den Heuschober bewachen. Gegen Abend kam der Mann im Regenmantel auch wirklich mit einem Kombi angefahren, und sie konnten die Steine weiter weg bringen. Der Große wurde etwas kleinlaut, als sie aus dem Tal, dass an dem Zweitausenderpass endete, in ein größeres Tal bogen. Links ging es zur Marktgemeinde, und rechts, weiter runter Richtung Süden. Wenn man dort immer weiter fahren würde, wäre man, nach garnicht allzu langer Zeit im Nachbarland. Ein paar Berge musste man schon noch überqueren, aber dann wäre es geschafft. Der sonnige Süden. Aber der Große hatte gehörigen Respekt vor dem Nachbarland, weil ihm dort schon übel mitgespielt wurde. Doch genau dorthin führte ihr Weg. Der Chef im Regenmantel fuhr über die Berge Richtung Süden. Dem plötzlich auftretenden Unmut des Großen, begegnete er mit seiner ruhigen sicheren Art. Als sie sich nach längerer Zeit der Grenze näherten, wurde er aber doch unruhig. Der Kombi war ja gestohlen. Vielleicht wäre ein anderer Weg besser. Ihm fiel eine Schotterstraße über die Berge ein, die gerade hier links abbog. Er steuerte, überraschend für den Großen, mit voller Fahrt hinein, und preschte die steinige Straße entlang. Es ging auf halsbrecherischen Wegen über die Berge. Der Chef schenkte dem Großen nur ab und zu mal einen Sicherheit ausstrahlenden Blick. Der Große bewunderte aber jetzt die Ortskenntnis des Chefs, der auch sehr geschickt das Nachbarland erreichte. Es war längst tiefe Nacht, als sie vor einem kleinen Gehöft hielten. „Wir sind da,“ sagte der Chef. Wieder mussten die Steine umgeladen werden. Dieses mal in einen Schuppen, neben dem Gehöft. Die Nacht konnten sie in dem Haus, das von einem Ehepaar bewohnt wurde verbringen. Am nächsten Morgen mussten sie wieder verschwinden. Sie fuhren mit dem Kombi herunter zur Hauptstraße. Der Chef kannte eine Stelle, an der man das Auto gut in einer Klamm verschwinden lassen könnte. Nachdem sie dem Kombi einen letzten Schubs gegeben hatten, trennten sich ihre Wege. Der Große machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle, um in seine Heimat zurück zu fahren, und der Mann im Regenmantel verschwand über die vorhandenen Wege. Er schien sich hier bestens auszukennen.
Der Mann am Tisch wunderte sich, warum Jonson so ängstlich auf die Tür starrte. Er versuchte ihn aufzumuntern, aber das gelang nur kläglich. „Was sind das eigentlich für silbrig glänzende Steine, die man überall im Gebirge findet,“ fragte Jonson. Der Mann antwortete: „Ach, dass sind nur irgendwelche wertlosen Steine. Da ist nichts besonderes drin, obwohl sie auf den ersten Blick so toll aussehen.“ Jonson nickte, und dachte an den Rentner, der ihm entgegen gekommen war, und das Gleiche gesagt hatte. Er verstand die ganze Geschichte jetzt überhaupt nicht mehr. Da war dieser üble gewalttätige Fremde, der wegen scheinbar wertlosen Steinen so einen Aufstand machte, und Jonson so übel mitgespielt hatte. Sogar die Gendarmerie schien sich für den Fremden zu interessieren. Andererseits schien jeder zu wissen, dass die Steine absolut wertlos waren. Jonson überlegte, ob der große Fremde vielleicht im Verstand beeinträchtigt wäre, und deswegen die Steine für etwas wertvolles hielte, oder doch etwas anderes dahinter steckte. Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Gerade wegen diesem Widerspruch konnte Jonson auch nicht über den Fremden berichten. Obwohl er doch noch immer mächtige Angst vor ihm hatte. „Ich kann es gar nicht fassen, dass ich einer Halluzination aufgesessen bin, da oben auf der Alm“, sagte Jonson zu dem Mann am Tisch, um sich von dem großen Fremden abzulenken. „Aber diesen angefangenen Turm aus Bruchsteinen habe ich wirklich gesehen. Dort musste ich auch an Kleintibet denken“, wollte Jonson endlich mal über etwas Reelles berichten. Den Turm kannte der Mann auch. Ob die seitlich herausragenden Steinplatten, als Treppe gedacht waren, oder doch als Gebetsmühle, wusste er auch nicht. Jonson unterhielt sich noch eine Weile mit dem Mann, um sich aber zur frühen Schlafenszeit zu verabschieden, denn die Nachwirkungen des Absturzes spürte er noch in seinen Knochen. Als er seine Zimmertür aufschloss, und hereintrat, stand plötzlich der große Fremde, aus der Berghütte, vor ihm. Jonson wollte erschrocken zurückweichen, und aus dem Zimmer flüchten, doch der Große hatte schon, über ihn hinweg die Tür zugestoßen. „Bleib ruhig. Ich tue dir ja nichts,“ sagte er, und hielt Jonson einen Hunderter hin. „Ich wollte dir nur deinen Lohn bringen. Ich bescheiße Niemanden. Wenn du länger geblieben wärst, hättest du auch mehr bekommen,“ zuckte der Große mit den Achseln, drehte sich um, und ging in Jonsons Zimmer. Vor dem Fenster stand ein Sessel, in den sich der Große einfach hineinfallen ließ. „Nun komm schon her, und erzähl mir, wie es dir ergangen ist,“ sagte der Große in kumpelhaftem Ton. Jonson hätte am Liebsten die Zimmertür aufgerissen, und wäre heraus gerannt. Aber er hielt den Hunderter in der Hand, und fragte sich, ob ihn das jetzt zu einem Mittäter machte, und von was überhaupt? Außerdem erschien der Fremde jetzt nicht mehr so böse, wie bei ihrem ersten Zusammentreffen. „Die Leute sagen, dass die Steine wertlos sind,“ entgegnete Jonson. „Jaja, das stimmt schon,“ antwortete der Große, und stand aus dem Sessel auf. Er ging zur Seitenwand des Zimmers, wo er zwei Gläser, und eine Flasche sehr guten Whisky aus einer Plastiktüte, die er vorher dort abgestellt hatte nahm. Der Große kehrte an den kleinen runden Tisch neben dem Sessel zurück, und füllte eine angemessene Menge Whisky in die beiden Gläser. „Nu komm her. Lass uns auf unser Geschäft anstoßen,“ forderte er Jonson auf, näher zu kommen. Der ging langsam zum Tisch, und ergriff zögerlich das Glas. Der Große stieß mit Jonson an, und trank von seinem Whisky. Jonson überlegte, ob der Fremde ihn vergiften wollte, und hielt sein Glas nur in der Hand. „Da ist nichts dran. Alles aus einer Flasche,“ sagte der Fremde, als Jonson nicht trank. Jonson traute sich aber immer noch nicht. Da nahm der Fremde Jonson das Glas aus der Hand, nippte einmal daran, und gab es ihm wieder. „Alles in Ordnung,“ sagte der Große. Jetzt nahm Jonson doch einen Schluck von seinem Whisky. Er war sehr gut. „Ja, die Steine sind normalerweise nichts wert. Aber wir leben ja nicht in normalen Zeiten. Ich frage mich allerdings, ob wir das jemals getan haben. Jedenfalls werden sie gebraucht. In unser aller Interesse. Aber dafür bekommen wir leider überhaupt keine Unterstützung. Obwohl wir ja das Gleiche wollen wie unsere Regierung. Aber die glaubt leider nicht an uns,“ sagte der Große, und trank von seinem Whisky. Jonson sah den Fremden skeptisch an. „Aus dem perlmutartigen Inneren der Steine kann man einen Stoff extrahieren, der in Verbindung mit anderen Elementen, das Material, für eine neuartige Schutzhülle liefert. Damit wollen wir dem angegriffenen Land helfen, sich besser zu schützen,“ redete der Große weiter: „Das müssen wir aber, weil es die Regierung verboten hat, im geheimen tun. Das ist total absurd. Aber es ist für eine gute Sache. Das kannst du mir glauben.“ Wieder nahm der Fremde einen Schluck von seinem Whisky. „Ich dachte schon, du wärest ein Agent,“ entgegnete Jonson. „Nein, ich helfe nur dieser Organisation. Na ja, die bezahlen mich dafür. Deshalb mache ich das, und weil es um eine gute Sache geht,“ erklärte der Fremde. „Die Gendarmerie sucht dich,“ sagte Jonson. „Deswegen bin ich ja hier. In deinem Zimmer werden sie mich nicht suchen. Und du hast ja viel Platz in deinem Doppelzimmer. Ich bleibe ein paar Tage hier bei dir,“ bestimmte der Fremde. Jonson sah ihn entgeistert an, fand aber keinen Ausweg aus der Situation. Er wusste nicht, wie er den Fremden loswerden könnte. Dieser füllte die beiden Gläser noch einmal, und Jonson musste zugeben, dass der Whisky wirklich sehr gut war. Außerdem interessierte ihn schon, was der Fremde von dieser geheimen Organisation, die dem angegriffenen Land helfen wollte, dass doch alle unterstützen, erzählte. Nach einiger Zeit stieg Jonson der Whisky in den Kopf. Er fühlte sich aber nicht mehr so unwohl mit seinem uneingeladenen Besuch. Der Fremde schaffte es langsam, eine Art kumpelhafte Bindung, in Jonson zu erzeugen.
Währenddessen bog ein schwarzer SUV, von der Marktgemeinde, aus Norden kommend, in das Tal ein. Der Wagen fuhr, ohne anzuhalten, die Hauptstraße durch, bis in die letzte Ortschaft vor dem Pass, in der Jonsons Gasthaus lag. Hier hielt der SUV an einer der vielen, zwischen den Häusern liegenden Wiesen. Ein Mann mit Glatze stieg aus, und zündete sich eine Zigarette an. Dann blickte er geheimnisvoll herüber zu Jonsons Gasthof. Nach drei Zügen schmiss er seine Zigarette achtlos auf den Boden, was man in dieser Gegend aber überhaupt nicht machte, und stieg wieder in sein Auto. Er fuhr durch den weit zerfurchten Ort, der nur hier und da mal ein paar Häuser hatte, bis zum südlichen Rand des Tales, der auch direkt nach den letzten Häusern steil anstieg, und weiter drinnen auch wieder Höhen von über 3000 Metern erreichte. Der SUV bog in eine Forststraße, die berghoch führte. Die zweite Serpentinenkurve grenzte an ein kleines Plateau, dass ausreichend Platz für ein Auto bot. Hier wendete der SUV, und hielt. Der Glatzköpfige nahm ein Nachtsichtgerät aus einer Tasche, und schaute zu Jonsons Gasthof, den er von hier aus prima im Blick hatte. Er wußte aber nicht in welchem Zimmer Jonson wohnte, und beobachtete deswegen das ganze, von ihm aus einsichtliche Haus.
Davon wusste Jonson aber nichts, und begann sich langsam mit der Kehrtwendung der Geschichte sicherer zu fühlen. Wenn ihm auch die Aussicht, sein Zimmer nun teilen zu müssen, nicht besonders behagte. Nachdem der Große ihm mehr von dieser Organisation, die aus den Silbersteinen etwas heraus extrahieren wollte, erzählt hatte, wurde Jonson langsam müde. Er fragte den Großen nach seinem Namen. „Nenn mich Rai. Eigentlich heiße ich Raimundo“, sagte dieser. „Ich komme ursprünglich aus dem Süden. Aber dort gibt es sehr finstere Leute. Und so bin ich hier gelandet,“ erzählte er weiter. „Leider reicht der Arm dieser Leute auch bis hierher, und noch weiter. Deswegen musste ich schon immer sehr versteckt leben,“ machte er Jonson seine Lage klar. „Dann ist es ja gefährlich in deiner Nähe zu sein, wenn irgendwelche Killer hinter dir her sind,“ sagte Jonson erschrocken. „Nur wenn sie wissen, wo ich bin, aber das weiß ja niemand,“ beruhigte Rai. Sie tranken den letzten Whisky des Abends bei einer Zigarette auf der Veranda, und schauten auf den Nachthimmel. Undurchdringbare Wolken verbargen das Licht der dahinter liegenden Sterne. Auf Jonson machten die Wolken einen bedrohlichen Eindruck, den er sich aber nicht erklären konnte, und auch nicht weiter beachtete. Berechtigt war das bedrohliche Gefühl aber schon, auch wenn Jonson das nicht wissen konnte. Denn der Glatzköpfige hatte die Beiden, mit seinem Nachtsichtgerät genau im Blick, und wusste jetzt in welchem Zimmer Jonson wohnte, und noch viel mehr. Nämlich, dass Rai bei ihm war. Zufrieden nahm der Glatzköpfige eine etwas bequemere Haltung ein. Als Jonson und Rai ihren Whisky gelehrt hatten, gingen sie wieder in Jonsons Zimmer, um sich schlafen zu legen. Durch die Bettschwere von dem Whisky versanken Beide auch bald im Schlaf. Als der Glatzköpfige sah, dass in Jonsons Zimmer das Licht ausging legte er auch das Nachtsichtgerät aus der Hand, und stellte die Sitzlehne etwas schräger. Als er sich gerade etwas entspannt hatte, piepste sein Handy. Es handelte sich um ein spezielles ortungs- und abhörsicheres, verschlüsseltes Handy, was auch von Politikern, oder eben Geheimdiensten benutzt wird. Der Glatzköpfige schaute auf das Display, und las die Nachricht: Sind auf dem Weg. Kommen kurz vor Sonnenaufgang an. Der Glatzköpfige schüttelte den Kopf. Wie lange brauchen die denn, fragte er sich. Lahme Krücken sind das. Nun gut, mache ich auch ein bisschen Nickerchen, dachte er, und schloss die Augen.
Als Jonson am nächsten Morgen die Augen aufschlug, sah er sofort, dass sich das Wetter geändert hatte. Von sommerlich schön auf herbstlich grau und kalt. Und das, obwohl doch der Sommeranfang kurz bevor stand. Verrücktes Wetter im Gebirge. Hatte es doch den Anschein gehabt, der Sommer wäre hier schon eingeleitet durch die schönen hellen letzten Tage. So sah es jetzt wieder sehr ungemütlich aus, und fühlte sich auch so an. Jonson stand auf, und sah, dass Rai auch wach wurde. Nachdem Jonson im Badezimmer war, fragte er Rai, was denn mit Frühstücken sei. Doch Rai wollte lieber im Zimmer bleiben. Also ging Jonson alleine frühstücken. Der Wirt fragte Jonson, ob er sich von seinem Sturz erholt hätte. Jonson antwortete, dass er noch etwas einen schweren Kopf hätte, aber sich ansonsten ganz gut fühlen würde. Wohl wissend, dass sein schwerer Kopf eher von dem Whisky des gestrigen Abends kam. Aber das sagte er dem Wirt nicht. Während Jonson sein Brötchen aß, schaute er durch das Fenster, und sah Nebelschwaden über die Wiese ziehen. Nach dem Frühstück nahm er noch einen Kaffee mit, und ging wieder hoch zu Rai in das Zimmer. „Hier, ich habe dir einen Kaffee mitgebracht,“ sagte er zu Rai, und ging für die Frühstückszigarette auf die Veranda. Rai kam auch heraus. Nicht nur der Rauch war in der Morgenluft zu sehen. Auch der Atem der Beiden kondensierte in der kalten Luft. „Mistwetter, und das zum Sommeranfang,“ sagte Rai. „Willst du jetzt eigentlich die ganze Zeit im Zimmer bleiben,“ fragte Jonson. Rai zuckte mit den Achseln. „Habe im Augenblick nichts Besonderes vor,“ sagte er. „Komm doch mit zu mir in den Norden. Dort hast du auch deine Ruhe. Ich kann nicht ewig hierbleiben,“ schlug Jonson vor. Rai sah Jonson zweifelnd an, sagte aber nichts.
Auf dem kleinen Plateau in der Serpentine hatte sich mittlerweile ein Pickup zu dem SUV gesellt. Mit zwei weiteren Männern hielt der Glatzköpfige Lagebesprechung, und beobachtete weiter Jonsons Gasthof. Sie warteten gespannt darauf, was Jonson und Rai unternehmen würden. „Sollen wir nicht selber nach dem Silberfelsen suchen,“ fragte einer der beiden Männer den Glatzköpfigen. „Wie lange sollen wir denn da suchen. Sie müssen uns hinführen,“ antwortete dieser. „Notfalls helfen wir ein bisschen nach,“ ergänzte er mit einem prüfenden Blick auf seine Waffe. Sie lauerten den Vormittag über auf jede Bewegung in Jonsons Zimmer, mussten aber irgendwann resigniert feststellen, dass die Beiden scheinbar nicht vorhatten das Haus zu verlassen. „Bei dem Wetter bleiben sie wohl drinnen,“ sagte der andere, etwas kleinere Mann, der bisher geschwiegen hatte. „Außerdem haben sie doch schon längst geliefert. Woher willst du wissen, dass sie überhaupt noch mal zu dem Felsen wollen,“ fragte er den Glatzköpfigen. Der guckte etwas zerknirscht, und tastete wieder nach seiner Waffe. Das hatte er sich doch anders vorgestellt. „Dann holen wir uns eben den Kleinen,“ kommandierte der Glatzköpfige. „Willst du ihn von der Veranda entführen, wenn er eine Rauchen geht,“ fragte der etwas Kleinere zweifelnd. „Irgendwann wird er schon den Gasthof verlassen,“ antwortete der Glatzköpfige.
Jonson wurde es gegen Mittag zu langweilig auf dem Zimmer. Auch wenn das Wetter kalt und ungemütlich war, so wollte er doch nach draußen. Es regnete ja auch nicht, und mit Wetterumschwung musste man ja im Gebirge immer rechnen. „Ich gehe mal zur Schwefelquelle, und halte meine Füße hinein,“ sagte er zu Rai, und zog seine Jacke an. Jonson verließ den Gasthof, und wandte sich talabwärts. Er ging eine kleine Straße entlang, und kam bald auf einen Pfad, der als Zubringer auf den Wanderweg durch das Tal diente. Hier ging Jonson weiter talabwärts. In einiger Entfernung kamen ihm Spaziergänger entgegen. Es war Sonntag, und das schlechte Wetter hielt die anderen Gäste wohl davon ab, höher in die Berge zu gehen. Jedenfalls stellte Jonson fest, dass der Wanderweg gut besucht war. Die Schwefelquelle lag knapp fünf Kilometer entfernt. Mittlerweile verlief der Wanderweg neben dem Gebirgsbach, der durch das Tal lief, und Jonson schritt schnell aus.
Die Drei in den Autos hatten Jonsons Aufbruch mitbekommen, und sich aus sicherer Entfernung an die Verfolgung gemacht. Von einigen Bäumen am Talrand geschützt, beobachteten sie aus ihren Autos, Jonsons Weg. Am Talrand führte eine kleine Forststraße parallel zum Wanderweg talabwärts. So konnten die Drei, ungesehen auf Jonsons Fersen bleiben. Kurz vor der Schwefelquelle führte der Wanderweg auf die Forststraße. Spaziergänger waren gerade nicht zu sehen. Jonson ging weiter, und freute sich auf ein angenehm belebendes Fußbad. Angeblich sollte man Hundert Jahre alt werden, wenn man zu dem Fußbad auch einen Schluck aus der Quelle trinkt, der aber sehr ekelig schmeckt, mit diesem Schwefelgeschmack. Genau das brauchte Jonson jetzt. Er hoffte damit die letzten Auswirkungen seines Sturzes, oder waren es doch eher die Auswirkungen des Whiskys, lindern zu können. Jonson hörte hinter sich ein Auto kommen, und ging am Rand der Straße weiter, um Platz zu machen. Der Wagen kam langsam näher. Als er Jonson erreichte, stoppte der Wagen abrupt, und aus der sich öffnenden Tür sprang eine Gestalt, die Jonson sofort packte, und in das Auto zerrte, um sich ebenfalls auf den Rücksitz zu quetschen, und Jonson in Schach zu halten. Der Wagen fuhr los. Nach einem kurzen Stück tauchte von rechts, hinter einem Baum ein Pickup auf, der sich hinter den Wagen setzte. Der Wagen, es handelte sich natürlich um den schwarzen SUV des Glatzköpfigen, fuhr mit dem gefangenen Jonson, von einem der beiden Männer bewacht, und dem Pickup im Schlepptau, zu der Forststraße, die zur kleinen Berghütte führte. Das wussten die Männer schon, dass sie irgendwo in dieser Richtung suchen mussten. Aber wo genau, wussten sie nicht. „Wo ist der Felsen,“ fragte der Mann, der neben Jonson auf dem Rücksitz saß, in bedrohlichem Tonfall. Dabei fuchtelte er mit einer Pistole vor Jonsons Kopf herum. „Hier sind überall Felsen,“ tat Jonson so, als wüsste er nicht worum es geht. Das schien die falsche Antwort gewesen zu sein, denn der Mann schlug Jonson mit der Linken in das Gesicht, was sehr wehtat. „Ich will wissen, wo ihr die Steine eingesammelt habt. Wenn du es mir nicht sagst, erschieße ich dich, und schmeiße dich in die Schlucht,“ machte der Mann Jonson klar, dass er es ernst meinte. Jonson erschrak, und sagte ängstlich: „Nein, bitte nicht. Ich kann euch den Felsen zeigen“. „Dann bring uns hin,“ sagte der Mann mit der Pistole. „Kurz vor dem Ende der Forststraße müssen wir den Berg hoch. Da kann man aber nur zu Fuß weiter,“ erzählte Jonson. „Gut, dann gehen wir eben zu Fuß,“ sagte der Mann mit der Pistole. Sie fuhren bis zu der kleinen Berghütte, und stellten dort die beiden Autos ab.
